Courtney Barnett – „Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit (Special Edition)“

Künstler Courtney Barnett

Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit Courtney Barnett
Sechs Live-Songs und eien Coverversion spendiert Courtney Barnett.
Album Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit (Special Edition)
Label Marathon Artists
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Man könnte glauben, Courtney Barnett habe einen Nerv getroffen. Die Kritiker überschlagen sich vor lauter Begeisterung für ihr Debütalbum. „Oft ist Courtney Barnett so gut, dass man zweifeln muss, dass es sie wirklich gibt“, hat beispielsweise der Rolling Stone jubiliert. Ende des Monats ist die Australierin wieder live in Deutschland zu sehen, schon ihr zweiter Abstecher in diesem Jahr. Die Nachfrage ist so groß, dass besagtes Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit nun noch einmal in einer Special Edition erscheint, angereichert um bisher unveröffentlichte Livesongs ihrer Show in den New Yorker Electric Lady Studios.

Weitere Gimmicks, die den verschiedenen Versionen dieser Neuauflage beiliegen, sind beispielsweise großformatige Poster des Albumcovers und Polaroids der Künstlerin höchstselbst. Wer hier an eine Folge von “Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist” glaubt, liegt falsch. Das gilt im Hinblick auf die papiernen Materialien, weil Courtney Barnett tatsächlich eine Kunsthochschule besucht hat – lustigerweise bekam sie bei den ARIA Awards in ihrer Heimat ausgerechnet den Preis für ihr selbst gestaltetes Albumcover, bei sieben weiteren Nominierungen für diese umwerfende Platte.

Es gilt aber auch für die Musik. Die Special Edition von Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit (die Wertung oben bezieht sich nur auf das Zusatzmaterial) versammelt etliche der Songs ihrer frühen EPs und Singles. Vieles ist in diesen Live-Versionen direkter und repetitiver, auch ein hoher Anteil von „Ahaha“-Passagen lässt sich ausmachen. Doch insgesamt zeigt die Neuauflage: Courtney Barnett war schon früher sehr gut, sie ist bloß noch besser geworden. Und von einem getroffenen Nerv im Sinne eines Trendsetters kann keine Rede sein, denn dies ist Rockmusik mit beinahe grotesk altmodischen Mitteln.

Die Debütsingle Avant Gardener aus dem Jahr 2013 bekommt in der Live-Version eine hypnotische Qualität. Lance Jr. zeigt schon in der ersten Zeile (“I’m masturbating to the songs you wrote.”) die Qualitäten, die dann auch das spätere Album so aufregend machen sollten: eine riesige Leidenschaft für Musik und eine noch größere Offenherzigkeit. History Eraser stellt den Sprechgesang auf die für sie typische Weise ins Zentrum: nicht in einem HipHop-Sinne, sondern eher in der Tradition von Storytellern und Talking Blues. Canned Tomatoes macht sich auf in Richtung Psychedelik und Stoner Rock, Scotty Says beweist, dass sich die Nähe zu Nirvana bei Courtney Barnett bei weitem nicht auf ihren Vornamen beschränkt.

Der Höhepunkt der sieben neuen Aufnahmen ist David: Der Song entwickelt mit vel Punch beinahe ein Glamrock-Feeling. Gleichzeitig sind da aber eine unverkennbare Brüchigkeit und ein doppelter Boden, der an Velvet Underground gemahnt.

Passend dazu gibt es am Schluss mit Close Watch ein Cover von John Cale, nicht live aus dem Electric Ladyland, sondern in einer Studioversion. Verletzt, betrübt und wissend, dass sie selbst für ihr Glück verantwortlich ist, klingt Courtney Barnett darin – und fest entschlossen, aus diesem Wissen wieder Hoffnung zu schöpfen. Immer wieder beschwört sie die Zeile, die schon in Johnny Cashs I Walk The Line so unheilvoll geklungen hatte: „I’ll keep a close watch on this heart of mine“.

Das zeigt das vielleicht Wunderbarste an dieser Musikerin: Im Unterschied beispielsweise zur ähnlich mutigen und derben Peaches gibt es bei ihr nicht nur Kampf und Gift und Galle, sondern auch Romantik und Schönheit.

Nobody Really Cares If You Don’t Go To The Party, müssen sich die Menschen in Camden sagen lassen.

Im November gibt es Konzerte von Courtney Barnett in Deutschland:

20.11.2015 – Technikum (München)
21.11.2015 – Postbahnhof (Berlin)
23.11.2015 – Stollwerk (Köln)

Homepage von Courtney Barnett.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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