Künstler | Cro | |
Album | Tru | |
Label | Chimperator | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Auch mit seinem dritten Studioalbum hat Cro die Spitze der deutschen Charts erreicht. Er trägt weiterhin seine Panda-Maske, feiert weiterhin seine Chimperator-Crew und hat weiterhin Lust auf ein leichtes Leben („Du likest, was ich mach’ / Ich mach’, was ich like“, heißt es bezeichnend in Fake You, und dieses Credo ist für ihn wohl Stolz und Antrieb zugleich). Damit hören die Parallelen zu seinen bisherigen Veröffentlichungen aber schon auf. Tru ist so etwas wie der Beginn des zweiten Kapitels in der Karriere des Mittzwanzigers. Oder, wie es die Plattenfirma nur leicht übertrieben nennt, „der erste Blick hinter die Maske“.
Auf einem Foto im (übrigens sehr hübsch gestalteten) Booklet ist Cro tatsächlich ohne Maske zu sehen, dafür mit einer riesigen Zuckerwatte vor dem Gesicht. Aber so ist dieser Satz nicht gemeint. Vielmehr begibt sich Cro nach den zahllosen Verkaufserfolgen für die Vorgänger deutlich aus seiner Komfortzone. Tru enthält mehr Englisch und mehr Sex als seine ersten beiden Alben, ist 96 Minuten lang und hat nichts zu bieten, was man auf Anhieb als Hit identifizieren könnte. Cro fordert sich selbst heraus – und seine Hörer.
Der Unterschied wird gleich zum Start in Kapitel 1 evident. Cro betont die Arbeit im Studio, dazu natürlich die Wurzeln und die Crew in Stuttgart, seine Dankbarkeit für den Erfolg und die Rolle seiner Wegbegleiter. „Ich stecke so viel Arbeit in die Songs“, rappt er dazu – das ist ein erstaunlicher Gegensatz zur Nebenher-Attitüde, die er 2012 noch auf seinem Debüt Raop herausgestellt hatte („Ich schüttel’ alle meine Texte, jeden meiner Sätze / locker aus dem Handgelenk / keiner von euch kann sich vorstellen / was wohl wär’, hätt’ er sich angestrengt“, hieß es damals noch im Intro).
Dass sein Leben mittlerweile auch reichlich Arbeit bedeutet, klingt auf Tru immer wieder an. Hi ist ein Moment, der das aufzeigt. Der Track ist zwar laid back im Sound, aber sehr entschlossen im Text, bis sich Cro sogar in ein bei ihm so noch nicht gehörtes Ausmaß an Leidenschaft hineinsteigert. Die Zeilen machen klar: Erfolg ist nicht mehr so sehr ein Glücksfall, er weiß auch, was er dafür geleistet (und geopfert) hat.
Das führt zum vielleicht wichtigsten Leitmotiv von Tru: Der Gedanke, dass nach dem Aufstieg auch ein Fall kommen muss, dass der Höhenflug irgendwann vorbei sein könnte, ist auf diesem Album sehr präsent. Das kann sich aus Demut speisen, vielleicht auch aus dem Wissen, dass die neue Platte weniger eingängig ist oder aus der Erfahrung mit dem gefloppten Film Unsere Zeit ist jetzt, der so etwas wie der erste Misserfolg in der platingepflasterten Laufbahn von Cro war. Vielleicht ist es auch bloß ein Anzeichen schnöden Erwachsenwerdens.
Besonders drastisch spielt Baum die Idee eines solchen Verlusts durch. Das Szenario: Cro ist auf dem Weg zu einer Party, er kommt von der Strecke ab und rast auf eine Eiche zu, ohne Kontrolle über das Auto. Kurz vor dem Aufprall läuft sein Leben im Zeitraffer an ihm vorbei, nach dem Crash wird daraus ein Folksong aus der Unterwelt.
Fkngrt richtet den Blick auf seine Anfangsjahre als Teenager, bei allem „Tru“ weiß er: Er ist mittlerweile ein anderer, vielleicht nicht im Kern, aber in Schattierungen, mit vielen neuen Erfahrungen, Kenntnissen, auch Ängsten. „Irgendwann ist der Moment vorbei“, heißt eine Zeile in der Single Unendlichkeit. „Schätze ich hab’ Schiss / dass diese Welt mich nicht vermisst“, führt 2kx diesen Gedanken weiter. Cro zeigt auf dieser Platte immer wieder Sorge, Angst, Sehnsucht und Schwäche, aber sehr gelassen, nicht verzweifelt, am Ende sogar unbedingt positiv.
Auch ein Gefühl von Entfremdung lässt sich an der einen oder anderen Stelle dieses Albums erkennen. Die zweite Single Todas (feat. Wyclef Jean) ist zwar fast der einzige Track, in dem eine Atmosphäre von dicke Hose aufkommt, doch darin enthalten ist auch die Zeile. „Ich kann die Erde nicht mehr fühlen / bin so weit entfernt / und doch hier“. Ähnlich heißt es in Alien: „Ich fühle mich fremd in dieser Welt.“ Es ist vielleicht der Track, der mit all seinen Chören und Effekten und Streichern die musikalischen Ambitionen von Tru am deutlichsten macht.
Produktionstechnisch ist das Album umwerfend: Die Bedeutung der Musik hat die Texte bei Cro nicht nur eingeholt, sondern überholt. Es gibt viel Mut, viele Ideen und viel mehr Bandbreite, als man das bisher von Cro kannte. Selbst die Gäste dienen meist dem Track und fügen sich durchweg perfekt ein, auch weil niemand von ihnen den Anspruch (oder die Erlaubnis) hat, sich in erster Linie selbst zu produzieren. Zur extrem langen Spieldauer trägt auch bei, dass die Songs am Ende oft minutenlang ohne Text ausplätschern, aber gerade aus diesen Passagen entsteht ein großer Teil des besonderen Charakters dieses Albums.
Der Titelsong ist ein treffendes Beispiel dafür. Tru ist nicht plakativ, sondern erstaunlich dezent – die hier dennoch sichtbare Opulenz und das unverkennbare Selbstvertrauen äußern sich eher in der Detailverliebtheit. 0711, das man beinahe als ein Duett mit Siri betrachten kann, verzichtet komplett auf einen Beat. Auch Computiful findet eine höchst unkonventionelle Form für die alte Erkenntnis, dass weder Geld noch Ruhm für Glück und Liebe sorgen können, schließlich mündet auch dieses Lied in ein sehr langes Outro mit einem sehr schlauem Monolog von Israel Oros und reichlich Vocoder-Akrobatik.
Forrest Gump (mit Patrice) beginnt mit einer Soundcollage voller Effekte. „Ich fühle mich jeden Tag, als wäre ich im Himmel“, rappt Cro dann inmitten einer sehr feinen Soul-Atmosphäre. Der Text zeigt ebenso wie der Sound auch hier: Er hat kein Problem mehr damit, wenn nicht alles sofort offensichtlich und eingängig ist. Es gibt, in diesem Song und auf dem gesamten Album, mehr Rätsel, mehr Insider-Witze, mehr Selbstreferenzen.
Was man auf Tru ebenfalls deutlich häufiger findet, sind (im weitesten Sinne) Liebeslieder. No. 105 betont, dass die perfekte Frau sicher nicht vom Reißbrett kommt. Paperdreams hat ebenfalls erkannt, dass Oberfläche eben nicht das ist, was letztlich zählt. Noch da stellt die Frage: Wieso sind wir eigentlich (noch) zusammen, wieso sind wir On/Off, wieso kommen wir nicht voneinander los?
Slow Down (mit Ace Tee) stellt nicht die Zweifel innerhalb einer Beziehung in den Mittelpunkt, sondern das Idyll von Zweisamkeit im Urlaub weit weg vom Alltag. „Keiner will was von uns“, lässt sich die befreiende Grundstimmung beschreiben, es steckt viel Beiläufigkeit darin, aber auch die Ahnung, dass aus diesem Ausflug zu zweit etwas ganz und gar nicht Beiläufiges werden könnte. Tokyo 13317 geht in eine ähnliche Richtung. Die Idee des spontanen Liebesurlaubs kennt man schon von Cros vorherigen Alben (etwa aus Einmal um die Welt). Die Möglichkeit, von jetzt auf gleich seinem Fernweh nachgeben zu können, ist für ihn vielleicht die größte Entsprechung von Luxus und Freiheit.
Tru ist damit das Dokument einer sehr eindrucksvollen Weiterentwicklung, in erster Linie musikalisch, aber auch thematisch. Was leider geblieben ist bei Cro (womit er sich freilich kaum von anderen aktuellen Rap- und Pop-Größen aus Deutschland unterscheidet), ist die Egozentrik. Der Lifestyle hat sich geändert, statt Kumpels, Blödeleien und Provinz gibt es jetzt Business, Verantwortung und Jet Set. Aber auch Tru beschreibt das Leben in der Filterblase. Politik, Gesellschaft, Welt – all das hat Cro in seinen Songs leider nach wie vor nicht im Blick. Nach der deutlichen Horizonterweiterung mit diesem Album wäre man umso gespannter, was er dazu zu sagen hat.
Die Idee vom Fall nach dem Aufstieg greift auch das Video zu Unendlichkeit auf.
Im November beginnt Cro seine „Stay Tru“-Tour.
08.11.2018 Düsseldorf – Iss Dome
09.11.2018 Hamburg – Barclaycard Arena
10.11.2018 Berlin – Max Schmeling Halle
11.11.2018 Frankfurt – Festhalle
16.11.2018 München – Olympiahalle
17.11.2018 Nürnberg – Arena
23.11.2018 Stuttgart – Schleyerhalle
29.11.2018 Bremen – ÖVB Arena
30.11.2018 Hannover – Tui Arena
01.12.2018 Leipzig – Arena