Künstler*in | Daft Punk | |
Album | Random Access Memories | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Es gibt Leute, die behaupten, meine Texte seien zu lang. Ich könnte hier den Gegenbeweis antreten und diese Rezension auf ein einziges Wort beschränken, sogar auf nur fünf Buchstaben: D-I-S-C-O.
Das mache ich aber nicht. Zum einen ist im Internet noch genug Platz für ein paar Sätze mehr, und deshalb werde ich hier genau 688 Wörter schreiben. Zum anderen ist das vierte Studioalbum in der Karriere von Daft Punk (und ihr erstes seit sage und schreibe acht Jahren) viel zu gut, um es nicht umfassend zu würdigen. Random Access Memories ist nichts weniger als ein umwerfendes Gesamtkunstwerk.
Natürlich ist da Get Lucky, der Welthit mit der Stimme des unfehlbaren Pharrell Williams und der Gitarre des leibhaftigen Nile Rodgers, sagenhaft stilvoll, eingängig und leichtfüßig (und irritierend, weil man den Eindruck nicht los wird, dass dieser Feger auch von Lionel Richie sein könnte und man sich einfach nicht entscheiden kann, ob der nun cool ist oder nicht). Es gibt aber einen Track auf Random Access Memories, der viel besser erklärt, wofür Daft Punk anno 2013 stehen und was sie so großartig macht: Giorgio By Moroder. Darin erzählt Giorgio Moroder von seinem Leben, als eine Art tanzbares Interview oder Dance-Hörbuch, in jedem Fall als das supercoolste Genre des Jahres. Dazu gibt es Lounge-Sounds, ein jazziges E-Piano-Solo und am Ende das Credo des italienischen Produzenten, das auch Daft Punk befolgen: Es gibt keine Regeln und Konventionen in der Musik. Giorgio By Moroder beweist das in den folgenden sieben Minuten auch gleich, lässt ein Orchester auf kraftvolle Bass- und Schlagzeug-Hexerei samt Scratches treffen und packt auch noch ein Muse-Gitarrensolo obendrauf.
Alles ist erlaubt, solange der Beat stimmt – dieses Prinzip führt hier (auch wenn sich Daft Punk in einigen wenigen Momenten ein wenig zu sehr auf Sound-Politur fokussieren) zu sagenhaften Ergebnissen. The Game Of Love klingt, als hätte sich Barry White in einen Androiden verwandelt, das Lied wird sexy und sehnsüchtig, aber (obwohl es eigentlich alle Zutaten dazu hat) nicht schwülstig. Instant Crush, mit Julian Casablancas (The Strokes) an Mikro und Gitarre, schafft eine feine Balance aus Anpassung an die Klassiker des Genres und Eigenständigkeit und wartet zudem mit dem besten Refrain des Albums auf – das könnte ein Hit sein, wenn sich Daft Punk für derlei banale Ziele noch interessieren müssten.
Touch bietet zwei Minuten lang Avantgarde, dann eine Elektroballade à la Hot Chip, dann eine Jazz-Pop-Revue, dann eine schwelgerische Space-Sinfonie. Within (mit Chilly Gonzalez) ist im Kern eine hübsche Klavierballade, Motherboard wird ein abenteuerlustiges Instrumental, Doin’ It Right erinnert am stärksten an das bisherige Werk von Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo und liefert vielleicht die absolute Essenz von Daft Punk. Der Rausschmeißer Contact sampelt erst eine Stimme von der Apollo-17-Mission und feiert dann die Heilige Messe des Dance.
Und immer wieder ist da Disco, in tatsächlich der Interpretation, wie sie Ottawan (übrigens Franzosen, ebenso wie Daft Punk) im Jahr 1979 als D.I.S.C.O. besungen haben. Der Opener Give Life Back To Music, mit Vocoder und einer Smoothness irgendwo zwischen ELO, den Wings und Earth, Wind & Fire, könnte nicht mehr Siebziger sein, wenn er Schlaghosen und Kotletten trüge. Das ebenfalls programmatisch betitelte Lose Yourself To Dance könnte genauso als Prototyp durchgehen: Wieder sind Pharrell und Nile Rodgers dabei, das Ergebnis ist genauso nah an Blondie wie an, sagen wir, Justin Timberlake.
Dass Daft Punk sich nicht nur von ihrer bisherigen Arbeitsweise verabschiedet haben (statt im Heimstudio in Paris entstand Random Access Memories zu großen Teilen in Los Angeles und New York, mit echten Studiocracks an den Instrumenten), sondern ein stückweit auch von ihrem Sound, ist nur allzu nachvollziehbar: Das, was sie als die Zukunft der Tanzmusik erfunden haben, kopieren inzwischen alle, von Lady Gaga bis Kanye West. Dass ihre Absage daran und ihr Ausbruch in die Vergangenheit führt, zu den Wurzeln ihrer eigenen Inspiration, ist nicht nur mutig und überraschend, sondern vor diesem Hintergrund ein fast bösartiger Seitenhieb auf die Konkurrenz. In seiner Perfektion ist das atemberaubend, dabei stets lebendig, modern, glamourös und sexy. Vom Druck, der auf Daft Punk vor diesem Album lastete, ist nichts zu spüren. Sie haben einfach wieder ein Meisterwerk gemacht, das klingt wie aus dem Ärmel geschüttelt.
Wir werden alle zu Robotern, lautet die Botschaft im Video von Get Lucky:
httpv://www.youtube.com/watch?v=5NMPUcMeyvo