Künstler | Dave Gahan & Soulsavers | |
Album | Angels & Ghosts | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Lieber Dave Gahan,
ich gebe zu: Zwischen uns beiden läuft es nicht so gut. Eigentlich von Anfang an. Es begann, als alle Mädchen in meiner Klasse plötzlich Fans von Depeche Mode wurden. Ich war sehr gekränkt, denn ich wollte natürlich, dass sie – wie jeder denkende Zehnjährige – lieber Fans der Ärzte würden (oder wenigstens Fans von mir). Es ging weiter, als ich in diese Stadt kam, die vielleicht die weltweit höchste Dichte von Fans deiner seltsamen Musik hat, sodass man jedes Wochenende genauestens auf der Hut sein muss, um nicht versehentlich in eine Depeche-Mode-Party zu geraten. Und es erreichte dann den bisherigen Höhepunkt: Als ich eine sehr objektive Kritik über eine Depeche-Mode-DVD geschrieben hatte (also einen Verriss), begnügten sich die Fans nicht etwa damit, einen Shitstorm in Form von User-Kommentaren loszutreten. Sondern sie riefen tatsächlich in der Redaktion an.
Ich gebe gerne zu: Ich kann dich nicht leiden, Dave. Wenn du mich fragst, ist dein Leidensmann-Gehabe ebenso affig wie deine Stimme gewöhnlich ist. Du hast es irgendwie geschafft (außer Lady Gaga fällt mir niemand ein, dem dieses Kunststück gelang), Talent vollständig durch Ego zu ersetzen – und damit auch noch durchzukommen. Und jetzt ist Angels & Ghosts in meinem Briefkasten gelandet (ungefragt), dein zweites Album mit den von Rich Martin ins Leben gerufenen Soulsavers. Und natürlich gebe ich mir wieder Mühe, unvoreingenommen zu sein. Ich schwöre: Wenn dies eine herausragend gute Platte wäre, dann hätte ich es gemerkt. Aber das ist sie nicht. Sie ist bloß ein weiteres Dokument deiner Selbstüberschätzung, die du so gerne in Form von dümmlichen Texten mit abgenutzten Metaphern zum Ausdruck bringst (es gibt auf Angels & Ghosts, der Titel ist da durchaus typisch, ein „end of the road“ ebenso wie die „road to nowhere“, natürlich folgen auf die Worte „I’m a sinner“ sofort die Worte „I’m a saint“, auch Schmutz, Engel und Jesus müssen herhalten für die Simulation von Substanz und Poesie).
Die Musik ist dabei durchaus ordentlich (Bläser und Streicher wurden arrangiert von Daniele Luppi), manchmal ist sie sogar so gut, dass es schade darum ist, wie sie durch deine Texte und deine Stimme besudelt wird. Erstaunlicherweise ist Rich Martin, der für die Soulsavers früher noch richtige Sänger wie Mark Lanegan hatte gewinnen können, mit dieser Zusammenarbeit trotzdem halbwegs zufrieden. „Es passte alles ganz offensichtlich sofort zusammen. Man musste kein Genie sein, um zu sehen, dass es funktionierte“, sagt er. „Es war interessant, jemanden zu nehmen, der für elektronische Musik bekannt ist und in eine Umgebung mit Live-Instrumenten zu stellen. Ich bringe Dinge gerne in eine neue Perspektive und es geschah alles ganz mühelos. Ich habe bereits mit vielen Leuten gearbeitet, aber diese Art von natürlicher Chemie, bei der es einfach ‚Klick‘ macht, ist wirklich sehr selten. Und wenn so etwas passiert, dann muss mach sich dem Flow der Dinge einfach fügen.“
Trotzdem hast du, lieber Dave, auch mit den neun Lieder auf Angels & Ghosts wieder einmal den Beweis erbracht: Wenn man Dave Gahan nicht für den geilsten Menschen auf der Welt hält (neben dir selbst tun das leider ziemlich viele Leute), dann ist deine Musik unfassbarer Schmonzes. Deshalb, ich meine es ja nur gut mit dir, habe ich neun Lehrsätze nur für dich verfasst, lieber Dave. Didaktisch leicht zu fassen, nämlich anhand der Songs dieses Albums erklärt.
1. Viel Hall auf der Stimme und ein Backgroundchor machen noch keinen Gospel. Immerhin zeigst du mit Shine, wie groß die Leistung war, die Blur damals mit Tender vollbracht haben. Denn wie sehr so ein Versuch auch in die Hose hätte gehen können, wird hier deutlich.
2. Wenn man einen kitschiges Lied wie You Owe Me („Der Song handelt davon, die Liebe als Möglichkeit zur Flucht zu sehen. Man kann es in einer Menge Dinge finden, aber es geht letztlich darum, es in deinem Leben auch zuzulassen. Doch es ist keine Einbahnstraße. Diese Texte zeigen eine dunklere Seite von mir, eine, die mich quält – wie wenn man zwischen zwei Parteien zerrissen wird“, fabulierst du dazu) mit Orchesterklängen anreichert, kommt nicht Intensität dabei heraus, sondern noch mehr Kitsch.
3. Eine Orgel macht noch keinen Blues, auch nicht, wenn sie wie in Tempted von Sean Read gespielt wird, der beispielsweise schon für Edwyn Collins oder Graham Coxon im Einsatz war. Blues ist eine Haltung, die voraussetzt, dass man irgendetwas verstanden hat vom Leben – und davon kann bei dir keine Rede sein.
4. Wenn man mal einen spannenden Beginn hinbekommt, sollte man nicht so einen elend blassen Refrain folgen lassen wie in All Of This And Nothing.
5. Ein Pling-Plong-Klavier und ein Cello ergeben in Summe noch lange keinen Existenzialismus, auch wenn One Thing wohl genau das erreichen will.
6. Lallen ist keine Verruchtheit. Und wenn ein Lied authenisch und leidenschaftlich klingen soll, wie man es bei Don’t Cry vermuten darf, wäre es hilfreich, wenigstens eine winzige Dosis Inhalt hineinzupacken.
7. Liebeserklärungen werden glaubwürdiger, wenn sie Texte haben und nicht bloß Schüttelreime wie Lately, die man nicht einmal jemandem durchgehen lassen würde, der kein Muttersprachler ist.
8. Auch wenn ein Lied wie The Last Time die Textzeile „take your time, take it slow“ enthält, ist das noch keine Lizenz zum Einschläfern des Hörers. Um Einschläfern zu dürfen, braucht man nach wie vor eine Approbation.
9. Wenn man mit 53 Jahren noch immer zugleich voller Hybris und Selbstmitleid steckt, wie My Sun das demonstriert, kann bestimmt irgendwie medizinisch geholfen werden. Alleine in Deutschland gibt es knapp 22.000 kassenärztlich zugelassenen Psychotherapeuten. Und in Lower Manhattan, wo du wohnst, dürfte sich auch einer finden lassen.
Vielleicht noch ein letzter Tipp, lieber Dave Gahan. Lass die Sache mit der Musik einfach sein. Du kannst es nicht.