Künstler | Deep Throat Choir | |
Album | Be OK | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
„Vertrauen ist weg“, ruft der Mann mit der Halbglatze. Er heißt Bernd Stromberg, und er sieht lächerlich aus mit seiner hässlichen Krawatte, den improvisiert hochgekrempelten Hemdsärmeln und einer theatralisch in den Himmel gereckten Faust. Bis plötzlich die Umstehenden einstimmen. Erst zögerlich, dann immer lauter skandieren sie nun ebenfalls: „Vertrauen ist weg!“ Es wirkt beeindruckend, kraftvoll, wie ein Dokument größter Entschlossenheit.
Die Szene aus dem letzten Viertel des Kinofilms Stromberg lehrt: Wenn ganz viele Stimmen dieselbe Zeile äußern, bekommt sie manchmal eine ganz andere Bedeutung, als wenn sie nur aus einem Mund zu hören ist. Dieses Phänomen ist das Grundprinzip des Deep Throat Choir, der heute mit Be OK sein erstes Album vorlegt. Gegründet 2013 von Luisa Gerstein, die zuvor bei Landshapes und Totally Enormous Extinct Dinosaurs mitgewirkt hatte, bietet das rein weibliche Kollektiv nichts als viele, viele Frauenstimmen und ein paar Trommeln.
Das Wort „Trommeln“ (nicht etwa: Schlagzeug, Drums oder Percussions) ist bewusst gewählt, denn die elf Lieder (nicht etwa: Songs oder Tracks) haben eine große Ursprünglichkeit. So könnte Musik geklungen haben, als sie irgendwann in der Menschheitsgeschichte entstanden ist. Als es noch nicht darum ging, sie aufzuschreiben, aufzunehmen oder aufzuführen, sondern Menschen einfach bloß aus Freude am gemeinsam erzeugten Klang musiziert haben.
Das überrascht vor allem, weil Be OK größtenteils aus Coverversionen durchaus moderner Vorlagen besteht. Hey Mami (Sylvan Esso) lässt der Deep Throat Choir fast wie ein Traditional wirken, so urtümlich, reif und innig klingt das. Das verspielte The Wave (Wildbirds And Peacedrums) macht besonders gut deutlich, dass die Sängerinnen ihre Stimmen als Instrumente begreifen. Gerade durch den repetitiven Background-Gesang, der dem Lied seine Struktur verleiht, bekommt In Berlin (Electrelane) seinen betörenden Charakter. Daydreaming (Dark Dark Dark) wird quasi acappella intoniert.
Erprobt und weiterentwickelt haben die Sängerin ihr Repertoire zunächst in wöchentlichen Proben, die Luisa Gerstein mit drei, vier Mitstreiterinnen begann, bevor dann nach und nach immer mehr Mitglieder kamen, darunter Schlagzeugerin Zara Toppin. Wie groß ihr Anteil am Sound der Band ist, wird auf Be OK gleich mehrfach klar: Ritual Union (Little Dragon) setzt stärker auf den Rhythmus als auf Gesangsharmonien, auch der Titelsong hat einen sehr guten Groove. Bei Burning (MK) passiert etwas, womit man nach mehr als zwei Dritteln dieses Albums nie gerechnet hätte: Es wird plötzlich tanzbar.
Wie groß das Potenzial dieses Konzepts ist, zeigen vor allem die beiden Eigenkompositionen des Deep Throat Choir. Neben dem schon erwähnten Be OK gehört dazu auch Ada als Auftakt der Platte, mit betörendem Gesang und ganz wenig Bass und Beat. Baby (Donnie And Joe Emerson) wird um eine interessante Klavierfigur herum aufgebaut, in In My Bed (Amy Winehouse) klingen die Damen plötzlich wie Souldiven (En Vogue wären eine passende Referenz) oder wie ein Chor von Engeln.
All das ist extrem schön, äußerst überraschend und höchst gekonnt. Der Deep Throat Choir wartet noch mit weiteren Eigenschaften auf, die höchst selten sind: ein großer Wiedererkennungswert und ein einmaliger Sound. Ein Lied wie Stonemilker (Björk) verdeutlicht das perfekt: Es strahlt eine große Kraft aus, ganz ohne Anstrengung. Und wenn unzählige Frauen die Zeile “show me emotional respect” singen, dann hat das eine noch eindrucksvollere Wirkung als wenn Björk allein dies tut. Der Stromberg-Effekt.