Künstler | Delphic |
Album | Collections |
Label | Chimeric |
Erscheinungsjahr | 2013 |
Bewertung |
Blöderweise gibt es kein Lehrbuch, wie man sein zweites Album nach einem erfolgreichen Debüt NICHT angehen sollte. Sollte aber Bedarf nach einem solchen Werk bestehen, dann könnten Delphic problemlos als die Autoren fungieren. Denn Rick Boardman, Matt Cocksedge und James Cook haben nach Acolyte (2010) beinahe alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Die fünf wichtigsten Kapitel in „Der sicherste Weg, sein zweites Album in den Sand zu setzen, according to Delphic“:
- Lege die Messlatte hoch! Mit Acolyte hatte sich das Trio aus Manchester als Senkrechtstarter erwiesen. Die Platte wurde von den Kritikern gefeiert und erreichte die Top 10 der englischen Charts. Der Erwartungsdruck war also ordentlich.
- Gehe ewig lang auf Tour! Zwei Jahre waren Delphic in der Welt unterwegs. Das Ergebnis? “We were just exhausted”, sagt Rick Boardman.
- Schreibe keine Songs auf der ewig langen Tour! Delphic arbeiten gerne detailverliebt, intensiv und im Studio. Im Bus ein paar Ideen notieren, bei einem Soundcheck etwas Neues probieren, im Hotelzimmer schnell noch mal GarageBand starten – all das ist nicht ihr Ding. “We need about three weeks planning before we can do anything in rehearsal,” erklärt James Cook. “To work out how to plug stuff in properly,” ergänzt Matt Cocksedge schelmisch. Am Ende ihrer Welttournee hatten Delphic also jede Menge Fans, die auf neue Lieder warteten, aber nicht eine einzige Note an Material.
- Steigere dich in deine Schreibblockade hinein! Die Erfahrung, einfach nichts zustande zu bringen, fühlte sich für Rick Boardman „dreadful, like being impotent” an, sagt er. Nach einer Weile wurden daraus sehr grundsätzliche Zweifel: „This is my job and I can’t do it.”
- Gründe eine WG mit deinen Bandkollegen! Nachdem Rick, Matt und James zwei Jahre lang gemeinsam auf Tour waren, beschlossen sie tatsächlich, gemeinsam auf einem Bauernhof in der von Manchester zu leben. Natürlich gingen sie sich dort gehörig auf die Nerven – eine angespannte Atmosphäre, die der Arbeit am zweiten Album auch nicht gerade zuträglich war.
Umso erstaunlicher ist, dass Collections noch zustande kam – und wie leichtfüßig, geschlossen und inspiriert das Album nun klingt. Den Knoten zum Platzen brachte dabei Good Life, das nicht auf der Platte enthalten ist, aber im vergangenen Sommer zur offiziellen Olympia-Single erkoren wurde und die Schreibblockade im Hause Delphic pulverisierte. Rick und Matt fuhren zusammen in den Urlaub, James blieb zuhause und brachte irgendwie das Grundgerüst für den Song zustande: „Rick came back, had a look at it, Matt got involved and it was just like: right, this is it, this is how we do it. We literally wrote an album in nine months.” Keine schlechte Leistung nach anderthalb Jahren voller Fehlversuche.
Die Heiterkeit von Good Life ist durchaus typisch für Collections, insgesamt ist mit den Produzenten Tim Goldsworthy (DFA) und Ben Allen (Animal Collective, Bombay Bicycle Club) eine Platte entstanden, die sich stark vom Debüt unterscheidet. Am Beginn steht Of The Young, geheimnisvoll (inklusive eines pseudo-gregorianischen Chors am Ende) und doch packend, wie die Crystal Fighters nach einem Philosophie-Studium. Freedom Found vereint einen hymnischen Refrain mit einer schmerzerfüllten, leidenden Strophe, in Atlas zertrümmert ein fieses Gitarrensolo die verträumte Grundstimmung. Der Rausschmeißer Exotic hat einen spannenden Gast-Rap von Greg B. zu bieten, The Sun Also Rises eifert ganz klassisch und mit reichlich Streichern der Pop-Meisterschaft von OMD oder den Lightning Seeds nach.
Collections ist eine feine Pop-Platte, sehr eingängig und elegant, aber in jedem Moment modern, innovativ und ambitioniert. Darunter machen es Delphic einfach nicht, wie der Anspruch von Rick Boardman vermuten lässt: “Even the alternative stuff is just as middle of the road as the middle of the road stuff. If that’s the alternative, well fuck you, we can beat that too. I want to beat the pop music and the alternative music and challenge it and say ‘there’s something more out there than you’re used to’. Because people out there think that’s it. You know, with kids, it’s like: this is what they’re presented with; that’s music. And there’s more out there. So the aim is to do that really.”
Baiya ist ein gutes Beispiel dafür, wie Delphic diesem Ziel nacheifern und wie viele Ideen in diesem Album stecken. Der Track vereint HipHop-Punch, arabische Elemente und in der Bridge auch noch feinsten Eighties-Pop. Am Ende klingt die zentrale Zeile „All hell is breaking loose“ dann gar nicht mehr so bedrohlich. Auch Tears Before Bedtime beweist die Experimentierfreude von Delphic: Der Track besteht aus ein paar Klaviertönen, einer Telefonstimme und tausend Tonnen Traurigkeit, mündend in dem erschütternd desillusionierten Satz „This conversation is going nowhere.“
Spätestens bei Don’t Let The Dreamers Take You Away, dem vorletzten Track, ist klar, dass Delphic hier nicht nur ein gutes, sondern ein großes Album geschaffen haben. Stil und Melancholie, Tanzbarkeit und Schwelgen werden verwoben zu einem famosen Popsong irgendwo zwischen Massive Attack und Foals. Collections darf man mit Fug und Recht als schwere Geburt bezeichnen. Aber für solche Ergebnisse lohnen sich auch die kompliziertesten Schwangerschaften.
Auch ambitioniert: das Video zu Memeo.
httpv://www.youtube.com/watch?v=abu4oTXdFC0