Künstler | Die Nerven | |
Album | Fun | |
Label | This Charming Man | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Als „eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts“ hat Jan Wigger bei Spiegel Online dieses Album gefeiert. Das sagt mehr über die Lust zur Provokation aus, die dieser Autor gerne auslebt, und über die Arroganz, die diesem Medium leider zueigen ist, als über die Musik von Die Nerven. Dem Trio aus Süddeutschland, bestehend aus Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn, hat Wigger damit sicher keinen Gefallen getan. Denn man hört der Band auch auf dem zweiten Album (nach dem regulären Debüt Fluidum 2012 und einigen in Eigenregie, also als selbst gebrannte CDs herausgebrachten Werken zuvor) an, wie gerne sie Underground sein (und bleiben) wollen.
Die Pose, eine Band zu gründen, einen Plattenvertrag zu unterschreiben, Konzerte zu spielen etc., aber angeblich auf keinen Fall ein großes Publikum haben zu wollen, ist zwar seit Kurt Cobain nicht weniger lächerlich geworden. Auch hier stört sie. „Wer hätte das gedacht? Also wir ganz sicher nicht?“, schreiben Die Nerven beispielsweise im Booklet von Fun bei den Danksagungen – viel kleiner kann man sich selbst nicht machen. Auch Manches in der Musik wirkt in seiner Gekränktheit und Ehrlichkeit weiterhin pubertär.
Fun funktioniert dennoch, aus zwei Gründen. Zum einen ist hier im Vergleich zu Fluidum eine deutliche Entwicklung erkennbar: Der Sound ist besser, es wird mehr gesungen, das Album ist insgesamt melodiöser. Wenn die Anti-Haltung erst einmal nur Ausgangspunkt ist, mit der Möglichkeit, neue Einflüsse zuzulassen, wird sie ein ganzes Stück erträglicher. Zum anderen ist die Verweigerung bei Die Nerven nicht nur auf Sound, Musik oder Szene bezogen, sondern – und zwar sehr glaubhaft – auf die ganze Welt. Es ist genau diese Konsequenz, die den Kern der Band ausmacht.
Schon der Opener Albtraum bietet (zu einer Nirvana-Schrammelgitarre, einem Gesang, der an Frank Spilker denken lässt, und einem Finale wie Tocotronic in ihren wildesten Zeiten) reichlich Provokation – aber nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen, sondern aus einem grundsätzlichen Gestus heraus. „Es ist mehr Albtraum als Traum“, singt Julian Knoth, und das zeigt: Alles wird hinterfragt, immer, und im Zweifel eher scheiße gefunden. Auch Blaue Flecken („Diese blauen Flecken heilen nicht / Es kommen pausenlos neue dazu“) beklagt das Leiden an der Welt, die innere Leere, die nervtötende Routine und all die Menschen, die zu bequem sind, sich dagegen aufzulehnen.
Die Texte sind dabei konkret genug, um Bezugspunkte zu schaffen, aber abstrakt genug, um jedem Hörer seine eigene Interpretation zu ermöglichen. Man erkennt: „Das betrifft mich.“ Aber das „Wie betrifft es mich?“ darf jeder selbst ausgestalten.
Eine Minute schweben mit aggressivem Bass und wilden Trommeln hört man deutlich an, dass Fun live aufgenommen wurde. Alle klingen, als wollten sie sich kopfüber hineinstürzen in diese Musik, am Ende ist die Gitarre außer Rand und Band. Und ja (mit dem schönen Credo „Wenn du Fehler machst / rettest du dich selbst“) ist eines von etlichen Liedern, in denen der Gesang gedoppelt wird, das schlaue Angst zeigt, wie erstaunlich schnell der an sich sperrige Postrocksound von Die Nerven einen Wiedererkennungseffekt entwickelt. „In meinem Kopf spielen sich Dinge ab / die keiner versteht / die keiner verstehen will“, singt Julian Knoth dazu, und es ist einer von vielen Momenten, in denen so eine Zeile noch eindrucksvoller wird, weil Fun nach wie vor sehr viele instrumentale Passagen zu bieten hat.
Hörst du mir zu? ist rasant, in Ich erwarte nichts mehr wird jeder Ton aus dem verzerrten Bass zu einem Fausthieb, Rückfall ist vergleichsweise tanzbar und plakativ, Nie wieder scheitern hat eine überzeugende Dynamik. Am Ende steht Girlanden, mit akustischer Gitarre, fast genuscheltem Gesang und der Rechtfertigung: „Ich bin doch nicht gescheitert / Ich verändere mich.“ Das stimmt.
Fun bietet Musik, die ihre Schönheit vor allem aus ihrer Unbedingtheit und Entschlossenheit bezieht. Meursault, die Hauptfigur in Albert Camus’ Der Fremde, hätte sich wunderbar in diesen Songs wieder finden können, und es wimmelt in deutschen Feuilletons (und Online-Redaktionen) eben von Männern (es sind immer Männer!), die dieses Lebensgefühl vor sich hertragen – nicht nur Jan Wigger. Besser als seine Prophezeiung passt dennoch ein User-Kommentar bei plattentests.de zu diesem Album. Dort werden Die Nerven sehr schön charakterisiert als „Hipsterband für alte Szenesäcke“.
Auch im Video zu Eine Minute schweben steckt eine gute Dosis Verweigerung.
httpv://www.youtube.com/watch?v=DYRKSvgrXx0