Künstler | Die Sterne | |
Album | Flucht in die Flucht | |
Label | Staatsakt | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Es gibt, wie man das gewohnt ist, wenn Die Sterne eine neue Platte machen, eine Menge Zeilen darauf, die man sich gerne ins Poesiealbum schreiben möchte. Von all den hübschen Versen auf Flucht in die Flucht, dem zehnten Studioalbum der Hamburger, ist die folgende die schönste: „Wie soll man euch Idioten das erklär’n? / Ich bin was ich bin, ich bin es gern.“
Es ist eine Zeile aus Mein Sonnenschirm umspannt die Welt, das Lied ist genauso heiter wie der Titel es vermuten lässt, und es ist vor allem ein Fest der Autonomie. Die Sterne sind, auch in Zeiten, in denen sie zum Trio geschrumpft sind, sich Sänger Frank Spilker mittlerweile auch als Schriftsteller verdingt und in denen sie zuletzt (auf 24/7) eher nach Elektroclub klangen als nach Bandkeller, eine Institution. So sehr, dass sie sich im Booklet bei sich selbst bedanken und dabei kein bisschen seltsam wirken. Sie werden nie mehr berühmter werden als 1996 mit Was hat dich bloß so ruiniert, aber sie haben auch in den 18 Jahren danach nie eine schlechte Platte gemacht. Sie haben vor allem noch immer etwas zu sagen. Und sie sind stolz darauf.
Drei Akkorde ist ein guter Beweis dafür. Der Song ist auf verführerische Weise zurückhaltend, ein Protestsong gegen das Hässliche und Ordinäre und eine Hymne auf die Macht von Musik und Miteinander als Gegenmittel. „Eine zeitlang vergessen wir, was wehtut / und lassen unsere Sachen sein / eine zeitlang finden wir, wir könnten / und dann könnten wir wohl wirklich fliegen / wir würden mit allem richtig liegen / und drei Akkorde lang / würden wir sie besiegen“, lautet der himmlische Refrain. Spilker singt schüchtern, geradezu bescheiden, und gerade dadurch wirken seine Bosheiten auf diesem Album so gemein.
Auf Flucht in die Flucht gibt es davon natürlich einige. Innenstadt Illusionen wird – zu den Akkorden von Wicked Game (Chris Isaak bekommt, vielleicht deshalb, auch eine Erwähnung im Booklet) – die große Ballade von der Gentrifizierung, in der quasi dokumentarische Floskeln aus der City-Rush-Hour mit Poesie aus der idyllischen Provinz verwoben werden. Es ist ein schöner Soundtrack zum Versuch, sich das Leben in einem Szeneviertel schönzureden und dabei doch stets die Tür zur Flucht aufs Land offen zu halten. Das Lied beginnt als sanfter Funk und endet in Psychedelik, die Zeile „Halt mich nicht auf / aber halt mich“, bringt das Dilemma zauberhaft auf den Punkt. Mach mich vom Acker trägt später diese Idee noch weiter, beginnt mit Countryfeeling und endet in einer Botschaft, die womöglich lautet: Wenn Landlust nicht die Lösung ist, dann könnte Fernweh vielleicht die Lösung sein.
„Ich habe heute inneren Reichsparteitag“ (oha!) lauten die erste Worte in Menschenverachtendverliebt, einem satten Rocker mit Fuzz-Gitarre und einer sehr glaubhaften Arroganz, die im Slogan „Ich bin, wenn es so was gibt / menschenverachtendverliebt“ mündet. Eine ähnliche Attitüde hat Ihr wollt mich töten, ein Duett mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten. „Ihr wollt mich töten / ihr fangt jetzt besser an / ihr solltet es vollenden / bevor ich euch töten kann“, lautet die Warnung, und man weiß nicht, ob da ein Psychopath spricht oder die geschundene Stimme von Mutter Natur. Die Musik dazu ist eine denkbar putzige Klavierballade, und man muss an das Prinzip der Eels denken, inhaltliche Abgründe mit pittoresker Form zu verbinden: Spilker klingt hier wie ein Wolf im Schafspelz, wie ein wehrloses Baby, in dem aber bereits die DNA eines monströsen Killers schlummert.
Hirnfick ist ziemlich wild und zugleich glamourös, wie man das etwa von Asteroids Galaxy Tour kennt, und hat einen noch erstaunlicheren Effekt: Alle Bands, die fortan das Wort „Hirnfick“ benutzen wollen, müssen ab jetzt vorher nachweisen, dass sie einen völlig durchgeknallten Percussionisten haben und zudem eine Slide-Gitarre höchst nonchalant mit einer Doors-Orgel kombinieren können. Miese kleine Winterstadt ist ein Anti-Winter-Lied, so fies, dass sich selbst eine Jahreszeit vielleicht tatsächlich davon einschüchtern lassen könnte.
Im Zentrum steht auch auf Flucht in die Flucht, das von Olaf O.P.A.L. (Madsen, Sportfreunde Stiller) produziert wurde, fast immer der Rhythmus. Alle Lieder haben eine klasse Dynamik; wie geschickt sich bei den Sternen laut/leise abwechseln und wie perfekt die Instrumentierung passt, bemerkt man fast gar nicht. Die Texte sind manchmal so direkt, dass sie als infantil oder naiv missverstanden werden könnten, manchmal herrlich verklausuliert.
Erfreulicherweise gibt es von den Sternen auch wieder Hits: Der Startschuss Wo soll ich hingehen? ist so heiter wie eine Titelmelodie im Kinderfernsehen. Flucht in die Flucht ist elegant, eingängig und voller schicker Details. Und der Schlusspunkt Wie groß ist der Schaden bei dir? ist eine wunderbare Ode an die Empathie und das Wissen, dass es die Außenseiter sind, die diese Welt erst erträglich machen.
Das Lied, das die Einmaligkeit der Sterne vielleicht am besten illustriert, die Der Bär. Der Song zählt sicher nicht zu den Höhepunkten auf Flucht in die Flucht, ist aber herrlich abstrakt und fantasievoll. Der Text klingt ein winziges bisschen wie von Element Of Crime, der Gesang hat minimale Schnittmengen mit Stoppok – und die Musik ist mit nichts zu vergleichen.
In Sandalen durch New York wandert das Video zu Mein Sonnenschirm umspannt die Welt.
Die Sterne sind demnächst auf Tour:
08.10.2014 Münster, Sputnikhalle
09.10.2014 Köln, Gebäude 9
10.10.2014 Stuttgart, Wagenhallen
11.10.2014 CH-Zürich, Exil
13.10.2014 Frankfurt, Zoom
14.10.2014 Heidelberg, Karlstorbahnhof
15.10.2014 Erlangen, E-Werk
16.10.2014 München, Strom
17.10.2014 AT-Graz, PPC
18.10.2014 AT-Linz, Posthof
20.10.2014 Dresden, Beatpol
21.10.2014 Leipzig, Conne Island
22.10.2014 Berlin, Lido