Künstler | Dreamcar | |
Album | Dreamcar | |
Label | Columbia | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Das Beste an Dreamcar ist der Name der Band. Ein Traumauto ist schließlich ein Fahrzeug, das einerseits Sehnsucht, Nervenkitzel oder Entzücken auslöst, andererseits aber auch für vergangene Zeiten steht. Ein brandneues Modell kann vielleicht ein Wunschauto sein, aber kein Traumauto: Dafür braucht es erst eine Geschichte, eine Identität. Wenn das gelingt, stört es auch nicht mehr, wenn es technologisch nicht mehr auf dem neusten Stand ist. Traumautos sind Autos von gestern.
„Oberflächlich betrachtet ist ein Traumauto ein sehr männliches Ideal. Man denkt sofort an die Frage: Was ist dein Traumauto? Und jeder hat darauf eine andere Antwort“, sagt Tom Dumont, Gitarrist von Dreamcar, und schlägt dann den Bogen zu seiner Band: „Wenn man aber etwas tiefer geht, dann bezieht sich der Begriff auf ein Vehikel für unsere Träume und unsere Vorstellungskraft.“ Auch Sänger Davey Havok betont diese Parallele: „Dreamcar kündet von Nostalgie, doch genau, wie es sich der Vergangenheit zuwendet, so sehr geht der Blick auch in Richtung Gegenwert und Zukunft. Der Name spiegelt Hoffnungen, Ambitionen und den Wunsch wider, das Unerreichbare zu erreichen. Es wäre toll, wenn die Songs das gleich täten.“
Leider tun sie das nicht. Praktisch jedes Lied auf diesem Debütalbum kommt sofort zur Sache, nirgends muss man länger als eine Minute auf den Refrain warten. Dreamcar hat unbestreitbar Energie, immer wieder ein paar gute Melodien und ein klares Konzept, das mit großer Konsequenz umgesetzt wird. Was dem Album aber fehlt, ist das Mindestmaß an emotionaler Glaubwürdigkeit, das eben auch eine Pop-Platte braucht.
Das ist ein wenig erstaunlich, denn die vier Bandmitglieder beschreiben Dreamcar als eine Herzensangelegenheit. Tony Kanal (Bass), Tom Dumont (Gitarre) and Adrian Young (Schlagzeug), alle ehemals bei No Doubt, spielten im Sommer 2014 zusammen mit Sänger Davey Havok (zuvor bei AFI und Blakq Audio, die 2012 das Vorprogramm der Tour von No Doubt bestritten) ein paar Songs ein, aus denen schließlich diese Band und dieses übermorgen erscheinende Debütalbum wurden.
„Es hat mich an die Anfangszeit von No Doubt erinnert, als wir in einer Garage in Orange County gejammt haben“, beschreibt Tom Dumont diese Phase. „Es war dasselbe Gefühl von Freiheit – ohne Label, ohne Manager, ohne Agent und ohne Roadies“. Bassist Tony Kanal beschwört ebenfalls den Geist von Spontaneität, der Dreamcar geprägt habe: „Eineinhalb Jahre lang waren es nur wir vier, und wir machten Musik. Wir hatten die Chance, wieder eine ganz neue Band zu sein. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Wir machten nur Musik um des Musikmachen Willens.“
Als gemeinsamen Nenner fanden die ehemaligen Ska-Pop und Punkrock-Macher erstaunlicherweise den New-Romantic-Pop der Achtziger. Mit ihrer neuen Band wollen sie den Helden nacheifern, die sie als Teenager heimlich hörten: Spandau Ballet, Human League, Visage & Co. „Die Songs griffen einen Aspekt meiner kreativen Inspiration und musikalischen Sozialisation auf, der so direkt noch nie zuvor aufgegriffen worden war“, sagt Davey Havok. „Einige der bedeutsamsten musikalischen Momente in meinem Leben bescherten mir die ersten Kassetten, die ich mir selbst kaufte, von Duran Duran und Culture Club.“
Wie das klingt, verdeutlicht am besten der Opener After I Confess. Nach den ersten, sehr zupackenden Takten ist die vergleichsweise softe Stimme von Havok fast ein Schock. Danach folgende tatsächlich alle Zutaten, die dieses Genre eben braucht: Synthies, theatralisches Schlagzeug und hysterischer Backgroundgesang im Refrain. Alles wird zusammengehalten von einer Produktion aus der Hand von Tim Pagnotta (Neon Trees), die wohl die akustische Entsprechung von Haargel sein will. Der Song ist so etwas wie die Keimzelle der Band und zugleich der Prototyp ihres Sounds. „Das ist Dreamcar”, sagt Schlagzeuger Adrian Young. „Es war der erste Song, den Davey eingesungen hat.“
In dieser Weise geht es weiter. Lieder wie The Preferred klingen wie ein Achtziger-Megamix, komprimiert auf 220 Sekunden. Neben dem Slapbass und einem Duran-Duran-Gedächtnis-Refrain ist sogar ein Saxofon dabei. Do Nothing zeigt ebenfalls Fachkenntnis und Überzeugung, macht also klar, wie gut sie das Genre kennen und wie gerne sie sich darin beweisen wollen. Aber der Song zündet nicht. Auch Slip On The Moon führt das Grundproblem von Dreamcar vor: Es gibt keine Gefühle, keine Authentizität, keine Überraschungsmomente, nur Pastiche. Die Platte klingt nach „Komm, lass uns eben das mal probieren“, nicht nach „Wow, endlich dürfen wir uns in dem Sound austoben, den wir schon immer geliebt haben.“
Der Schritt weg von harten Klängen zur wahrscheinlich pastelligsten Musik, die man sich vorstellen kann, ist auf den ersten Blick mutig. Ein Problem für Dreamcar ist allerdings, dass sie sich ein Lieblingsjahrzehnt herausgesucht haben, das momentan von so vielen Acts als Referenzpunkt genommen wird. Praktisch alles klingt wie schon tausendmal gehört, nicht nur in den Achtzigern, sondern auch von den aktuellen Nachahmern.
Auch die Single Kill For Candy fällt in diese Kategorie und unterstreicht, dass Dreamcar kein Problem damit haben, plakativ und auch ein wenig Bubblegum zu sein. Der Gitarrensound ist von The Cure übernommen, der Refrain eher schamlos anbiedernd wie bei Frankie Goes To Hollywood. Born To Lie hat zwar etwa Boshaftigkeit im Text („How I’d love to like you“), die findet aber keine Entsprechung in der Musik. Ever Lonely versucht, klanglich und emotional etwas komplexer zu sein, aber das geht erst recht schief.
Beinahe das Spannendste an dieser Platte ist die Suche nach Spuren der früheren Bands der beteiligten Musiker. Ein paar davon gibt es durchaus. In einem Song wie The Assailant können Dreamcar nicht ganz verleugnen, dass sie eigentlich Rocker sind. In All Of The Dead Girls sind durch den Offbeat ein paar No-Doubt-Gene erkennbar. Der Rausschmeißer Show Me Mercy basiert auf einem netten Gitarrenriff, das man sich auch von den Smiths vorstellen könnte, und zeigt, dass ihnen die entspannten Momente deutlich besser gelingen als das Reißerische und angestrengt Jugendliche.
Auch in anderen Momenten zeigt das Quartett einige gute Ansätze und brauchbare Songs, aber fast alles wird erdrückt vom überbordenden Ehrgeiz und der blödsinnigen Idee, eine Ära zum Leben zu erwecken, die 1.) kein Mensch braucht und die 2.) schon längst wieder auferstanden ist. Dieses Traumauto dürfte ziemlich bald zu Schrott gefahren sein.