Künstler*in | Egotronic | |
Album | Keine Argumente! | |
Label | Audiolith | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Man darf getrost davon ausgehen, dass sich Egotronic bestens mit den Methoden von Populismus und der Manipulation der öffentlichen Meinung auskennen. Schließlich sind die Berliner quasi seit ihrer ersten Stunde politisch engagiert, vor allem gegen Nationalismus und alles, was damit in irgendeine Richtung assoziiert ist.
Selbst auf diese Tricks zu setzen, liegt ihnen beim achten Studioalbum Keine Argumente! allerdings offensichtlich fern. Die Platte, coproduziert und gemixt von Rod González (Die Ärzte) bietet durchaus ein paar Momente, mit denen man einen oberflächlichen Hörer zunächst ein wenig ködern könnte, um ihm später unterschwellig die eigentliche Botschaft einzutrichtern. Egotronic kehren sogar wieder ein gutes Stück in Richtung ihrer eher elektronischen Wurzeln zurück und reichern den zuletzt dominierenden Punk wieder öfter mit Billig-Keyboards und lustigen Spielzeugsounds an, was ebenfalls die Zugänglichkeit steigert. Zwei Songs haben sie zusammen mit Johnny Weltraum gemacht, dem Mitproduzenten des legendären Lustprinzip (2007), auf dem Party noch viel präsenter war als Politik.
Doch sie beginnen Keine Argumente! mit dem denkbar heftigsten Moment. Deutschland, Arschloch, fick dich heißt der Auftaktsong, und so klingt er auch. Im Refrain gibt es zwar einen zuckersüßen Gesang von The Very Best Vegan Bacon, aber der Text lässt an Deutlichkeit („Ich hass’ euch wirklich, ihr Scheißer“) nichts zu wünschen übrig. Das folgende Scheiße bleibt Scheiße (feat. Alles.Scheisze) behandelt Gewalt gegen Flüchtlinge mit genauso viel Furor. „Dieses Land gleicht einer Kanalisation“, heißt hier die Erkenntnis.
Frontmann Torsun Burkhardt hat in diesen Zeiten offensichtlich keinerlei Lust mehr darauf, eine Verpackung aus Hedonismus für seine Appelle zu kreieren, oder er hält (was wahrscheinlicher ist) die Zustände für so bedrohlich, dass Eindeutigkeit geboten erscheint, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Keine Argumente! ist auch nach diesem unversöhnlichen Start durchweg kompromisslos, bissig, wütend, militant und zynisch. Das ist zwar nicht immer klug – etwa in der Gewaltfantasie An die Wand, in der es mit Unterstützung von Emilie Krawall heißt „Wir stellen ganz Deutschland an die Wand / und Sachsen ist als erstes dran.“ – aber es ist immer klar.
Hauptstadt der Bewegung (feat. Johnny Weltraum) wird eine Abrechnung mit Pegida, Ihr wollt Arbeit, ich will schlafen richtet sich gegen den allgemeinen Leistungswahn und wäre auch gut von Kraftklub vorstellbar. In Komm wir zieh’n ans Meer erscheint die Emigration als einziger Ausweg aus dem allgemeinen Kack, in Die Angst vor dem Schmerz beschreibt Torsun Burkhardt den Umgang mit seiner Autoimmun-Erkrankung, zu einem Riff, dass lustigerweise ein bisschen an Somebody Told Me von den Killers erinnert.
Ich weiß die Welt riecht streng nach Pisse wird ein augenzwinkerndes Punkrock-Liebeslied, in dem sich die Zeile aus dem Titel auf „dass ich dich gerade vermisse“ reimt. Als Brett, in dem Egotronic ausnahmsweise mal etwas gut finden, erweist sich Die neue Hammerhead. Eine Erinnerung und Jugend und Anfangszeiten ist Deine Melodie, bei dem zwar das Jeans Team mitgewirkt hat, das aber in Thema und Sound irritierend nahe an den Sportfreunden Stiller ist.
Besonders gelungen ist ein weiterer Doppelpack im ersten Drittel der Platte. In Hallo Provinz brandmarken Egotronic die Provinz als Täter, als Nährboden für Dumpfheit und braune Gesinnung, mit Dorffest, Fußball und Schützenverein. Im folgenden Odenwald wissen sie aber auch um die Provinz als Opfer von Strukturschwäche, ohne Supermarkt, Disco und Breitbandnetz. Diese Fähigkeit, beide Seiten einer Medaille zu betrachten, ist auf Keine Argumente! sonst kaum ausgeprägt, gerade dadurch gewinnt das Album aber seine Kraft. Was hier zählt, sind Überzeugung, Unerbittlichkeit und Unbedingtheit.