Künstler*in | Elbow | |
Album | The Take Off And Landing Of Everything | |
Label | Fiction | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
„This blue world“ heißen die ersten drei Wörter auf dieser Platte, und damit ist schon eine Menge gesagt über die Grundstimmung, die auch auf dem sechsten Studioalbum von Elbow herrscht. Vor allem, wenn man weiß, wie der Text im Opener This Blue World weitergeht: „This blue world and her countless sisters / and all that came before that day / our atoms straining to align / was the universe in reheasal for us.“
Es ist diese Mischung aus Betrübtsein, das Euphorie wie ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen lässt, und Souveränität, die mühelos das gesamte Weltall in den Blick nehmen kann, die Elbow auszeichnet und die sie in diesem und den neun folgenden Liedern meisterhaft zur Geltung bringen. Gitarre, Bass, Orgel – von allem gibt es in This Blue World nur ein bisschen, so dass viel Raum bleibt für die Gefühle zwischen den Tönen.
Schon nach einem Durchlauf von The Take Off And Landing Of Everything weiß man, dass Elbow – längst mit Mercury Prize, Brit-Award und der Igor-Novello-Trophäe geehrt – auch diesmal wieder ein sagenhaftes Album gemacht haben, das locker das Qualitätsniveau von The Seldom Seen Kid (2008) oder Build A Rocket Boys (2011) hält. Das ist zumindest ein bisschen überraschend, denn die Band hat nach zwei Jahrzehnten in identischer Besetzung ihre Arbeitsweise leicht verändert. Diesmal ist nicht alles gemeinsam entstanden, sondern einzelne Mitglieder des Quintetts aus Manchester haben ihre eigenen Ideen selbst ausgearbeitet.
Honey Sun, das elektronisch beginnt und sich dann zu einem abstrakten Countrysong entwickelt, stammt aus der Feder von Gitarrist Mark Potter. Colour Fields, das einen überraschenden Billig-Beat und eine verschwörerische Orgel vereint, wurde von Bassist Pete Turner beigesteuert. Gemeinsam mit Schlagzeuger Richard Jupp haben die beiden Fly Boy / Lunette komponiert, mit spannendem Stimmeffekt, einer lärmenden Gitarre und einem Bass, der dafür sorgt, dass der Gesang wie der eines Taumelnden, beinahe Abwesenden klingt.
The Take Off And Landing Of Everything hat auch ansonsten immer wieder Ungewöhnliches zu bieten, das trotzdem sofort wirkungsvoll und einleuchtend klingt. Das gilt für die Trompete in My Sad Captains, das als Ode an verlorene Freunde aus Kindheitstagen zum besten Stück der Platte wird. Es gilt für die Gitarrenfigur in Real Life (Angel), die man mit etwas Fantasie für die beiden immer wiederkehrenden Warntöne an einem Andreaskreuz halten könnte. Und es gilt für die tolle Dynamik im beinahe psychedelischen Titelsong.
Die Stimme von Guy Garvey klingt mehr denn je nach Peter Gabriel (in dessen Real-World-Studios das Album auch aufgenommen wurde), daneben glänzt der Sänger natürlich mit tollen Texten. „I’m reaching the age where decisions are made on the life and the liver” (aus Fly Boy / Lunette) ist so eine. In Charge, wo die Gitarre für den Takt sorgt und das Schlagzeug die dadurch gewonnene Freiheit hörbar genießt, schlüpft er in die Rolle des Gelegenheits-Rabauken.
Das zugleich hymnische und groovige New York Morning ist eines von mehreren Stücken, in denen der Big Apple zum Schauplatz wird. Guy Garvey pendelte während der Aufnahmen für The Take Off And Landing Of Everything zwischen New York und Manchester. „Man findet in Großbritannien sicherlich vieles, auf das man stolz sein kann. Aber genauso findet man vieles, für das man sich schämen oder wovor man sich sogar fürchten kann – und so hatte dieses Heimkommen gelegentlich schon einen leicht bitteren Beigeschmack“, sagt er über diese Situation.
Wenn man sich die Engländer vor Augen führt, die sich auf Teneriffa ausschließlich von Bier ernähren, die auf Mallorca an ihrem Hautkrebs arbeiten oder in Berlin der Meinung sind, „Oi“ sei ein guter Anmachspruch, um ein German Girl aufzureißen, dann kann man gut verstehen, was er meint. Und zugleich repräsentieren Elbow hier eine Tradition ihrer Heimat, der man gerne Morrissey und David Bowie zurechnen darf, aber auch DH Lawrence oder Oscar Wilde: In eine höchst elaborierte Form wird eine Prise Aktualität gepackt, wodurch das Ergebnis sowohl ein eleganter Kommentar zur Gegenwart als auch ein kunstvolles Dokument für die Nachwelt wird.
The Blanket Of The Night, das letzte Lied des Albums ist ein Beweis dafür: Es tarnt sich als Liebeslied, handelt aber von Flüchtlingen, die auf offener See einer ungewissen, hoffentlich besseren Zukunft entgegenschippern. Es klingt sakral und pathetisch und bedeutend. Elbow reihen sich spätestens damit ein in die Reihe der großen britischen Melancholiker.
Das Video zu Fly Boy Blue / Lunette sieht simpel aus, die Musik ist dafür großes Kino.
httpv://www.youtube.com/watch?v=dELKUivJo4w