Hingehört: Emmy The Great – „Second Love“

Künstler Emmy The Great

Second Love Emmy The Great Kritik Rezension
Drei Jahre lang hat Emmy The Great an „Second Love“ gearbeitet.
Album Second Love
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Ein seltener Effekt ist das. Hört man das heute erscheinende Second Love zum ersten Mal, ist es zunächst betörend schön. Hört man es dann immer öfter, wird es immer schöner – und zugleich staunt man, wie Emmy The Great aus so disparaten Zutaten ein so eindrucksvolles Ganzes hat werden lassen können.

“If I had to write down the locations of every recording session, the credits would have around 30 people’s houses in it”, lautet ihre Schätzung hinsichtlich der geografischen Eckpunkte für ihr drittes Soloalbum. Dazu kommt eine stattliche Riege an musikalischen Mitstreitern, die unter anderem Tom Fleming (Wild Beasts), Leo Abrahams (Pulp/Brian Eno), Nick Trepka (Speech Debelle), Fyfe Dangerfield (Guillemots) und ihren Bruder Robin Moss umfasst. Nicht zuletzt bildet Second Love eine ziemlich turbulente Phase im Leben von Emmy The Great ab. “I’ve always felt that records are supposed to be ‘records’ of your life when you made them”, lautet das Credo von Emma-Lee Moss, die es aus London über Los Angeles mittlerweile nach New York verschlagen hat. “The entire album (…) took around three years, and in this time my life progressed in previously unimaginable ways. I lived in three cities, I was single, I fell in love, made friends, new life came into my family and I found out what it is to be a stranger and to begin again.”

Man kann Second Love (natürlich ist der Titel eine Anspielung auf ihr Debütalbum First Love im Jahr 2009) in manchen Passagen anhören, dass es um Verunsicherung geht, um Angst vor dem Neuen und die Notwendigkeit, sich inmitten einer verwirrenden Welt erst wieder orientieren zu müssen. Aber das gilt nur in emotionaler Hinsicht. Musikalisch zeigt Emmy The Great, unterstützt von den Produzenten Dave McCracken (u.a. Beyoncé) und Ludwig Goransson (u.a. Childish Gambino) hier eine Souveränität, die ihresgleichen sucht.

Ihr Stimme ist noch immer so schön, dass sie manchmal absichtlich hässlicher gemacht werden muss. Man kann da an die Sonne denken, deren strahlendes Licht man auch nicht direkt anschauen soll, um sich nicht die Augen zu verderben. So ähnlich wird der Gesang hier manchmal mit Effekten verfremdet wie in Phoenixes, einem Rückblick auf die Jugend, in dem ein bisschen Nostalgie und viel Reife steckt. In Dance With Me versucht ein wenig Backgroundgesang (er stammt von ihren einstigen Mitbewohnern in ihrer WG in Los Angeles) von Emmys Stimme abzulenken, außerdem gibt es Gesprächs-Samples von Produzent Dave McCracken und befreundeten Musikern wie Beth Jeans Houghton a.k.a. Du Blonde und O Karmina, die sich im Hintergrund unterhalten. In Swimming Pool, dem Auftaktsong des Albums, wird Emmys Gesang von Tom Fleming begleitet wie ein bedrohlicher Schatten. Das Lied ist traumhaft und verheißungsvoll, und es findet genau den richtigen Unterwasser-Klang für Gitarre, Chor und die dezenten Beats, der zu diesem Titel und Thema passt. Die erste Skizze des Lieds entstand auf Tour in Asien, dann arbeitete Emmy The Great in London weiter daran, bis sie schließlich den Sound hatte, „dem ich drei Jahre lang nachgejagt bin“, sagt sie.

Es ist dieser Wille zum Tüfteln, der aus starken Songs mit durchweg herrlichen Melodien wirklich großartige Songs macht. Das Instrumentarium von Second Love kommt scheinbar aus dem Spielzeugladen, jedes Wort scheinbar direkt aus dem Herzen. Doch der Eindruck von Naivität und Ursprünglichkeit ist nur vordergründig. Durchweg werden Effekte und Elektronik sehr geschickt eingesetzt, erweisen sich als zentrale Inhalte für Second Love und gehen eine überaus reizvolle Symbiose mit der Emotionalität dieses Albums ein. „For a long time, I thought the album would be about technology and the future, so I wrote a lot of songs about stuff – like Swimming Pool or Solar Panels or about the magazines in Hyperlink. But this didn’t feel right. It was only when I started using these things to write about love that everything came together”, sagt Emmy The Great.

Das Ergebnis sind extrem elegante Lieder mit wenigen, aber ausgesuchten Zutaten (Less Than Three), manchmal gelingt es Emmy The Great, das Alltägliche mit dem Philosophischen zu vereinen (Shadowlawns), manchmal ist es kaum zu fassen, wie viel Unschuld, Intensität und Würde sie in ein enorm reduziertes Lied packen kann (Lost In You). Wenn sie in Hyperlink „Love is the answer“ singt, dann muss man ihr das einfach glauben. Über die Sicherheit, Seligkeit und Zuversicht, die eine Beziehung bewirken kann, singt sie in Never Go Home, und genauso magisch, warm und zerbrechlich wie dieses Gefühl klingt der Song auch.

Algorithm ist ein weiterer Beleg für das gewitzte Spiel mit Elektronik. “It’s about searching for meaning in the noise”, erklärt Emmy The Great ihren Ansatz für den Song, der es tatsächlich versteht, Computertricks und Motown-Feeling zu vereinen. “It encapsulates the feeling behind the whole album.” Vom Traum, es in der großen Stadt zu schaffen, und von der Schwierigkeit, sich dort wirklich zuhause zu fühlen, handelt Constantly. „I don’t need to tell you that the world can be a fucked up and scary place, especially for young people who are living in the future while trying to figure out if they have a future of their own”, sagt Emmy The Great. “In all the uncertainty, I couldn’t say for sure whether this is Utopia or Dystopia or something in between, but for some reason it only made me more certain of one thing: that, wherever we’re heading, we’re going to need music, and we’re going to need love“, lautet ihre Zusammenfassung von Second Love, die zugleich die Zusammenfassung der vergangenen drei Jahre ihres Lebens ist. Den passenden Proviant fur die Zukunft hat sie mit Second Love parat: Musik, die wie Liebe klingt.

Passt ihr zusammen? Diese Frage stellen Algorithmen in Singlebörsen – und die Bilder im Video von Algorithm.

Website von Emmy The Great.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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