Künstler | Erdmöbel | |
Album | Kung Fu Fighting | |
Label | jippie! Industrie | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Allenfalls ein paar Monate blüht die Pflanze aus der Familie der Schwertliliengewächse, die wir als Krokus kennen. Wenn es gut läuft, entfalten die weißen, gelben oder violetten Blätter im Februar ihre Pracht, spätestens im Juli hat es sich dann normalerweise wieder erledigt mit dem Krokus.
Deutlich länger haben Erdmöbel mit ihrem Krokus gekämpft. Das Quartett aus Köln hatte vor drei Jahren ein Album diesen Titels vorgelegt, damit nach beinahe 15-jähriger Bandkarriere erstmals die Top100 der deutschen Charts erreicht und vor allem die Kritiker in Verzückung versetzt. Die Musik von Bassist und Produzent Ekki Maas, Sänger und Texter Markus Berges, Keyboarder Wolfgang Proppe und Schlagzeuger Christian Wübben klinge, „als hätten Gottfried Benn, Hans Christian Andersen und die Pet Shop Boys gemeinsam eine Band gegründet“, jubelte Die Zeit. Die Süddeutsche erkannte in Erdmöbel „die größte deutsche Band unserer Tage“, der Tagesspiegel immerhin noch die „Retter des deutschen Pop“.
Das hätte ein Turbo für die Karriere von Erdmöbel sein können, doch auf die Musiker wirkte es sich eher aus wie ein Klotz am Bein. Die Messlatte lag verdammt hoch, und das führte zur Blockade. Ekki Maas beschreibt den eigenen Anspruch, dem die Band sich zunächst nicht gewachsen fühlte: „Unser Job ist es in meinen Augen, die Band zu sein, die sich nicht an Stereotypen festklammert.“ Mit Blick auf den Vorgänger von Kung Fu Fighting bedeutete das: „Für uns war klar: Wir mussten Krokus übertreffen und gleichzeitig etwas machen, was so wenig mit der Platte zu tun hat wie nur möglich.”
Auch Markus Berges macht keinen Hehl aus den vielen gescheiterten Anläufen, die Erdmöbel für ihr neuntes Album brauchten. „Wir wollten uns nicht nur übertreffen, wir wollten uns auch überraschen. Das hat es doppelt schwer gemacht”, sagt er. „Ich finde Krokus immer noch ein tolles Album, es langweilt mich bis heute nicht. Wie Krokus zu klingen – das hätte mich allerdings sehr wohl gelangweilt. Es war klar, dass ich nichts schreiben durfte, das sich wie Krokus anhört.“
Was er stattdessen für Kung Fu Fighting geschrieben hat, ist – man muss das so sagen – der helle Wahnsinn. Natürlich weiß man mittlerweile, dass dieser Mann assoziative Texte liebt („Das ist schon seltsam: Alle wollen immer nur über ihre Gefühle singen und sich ausdrücken. Aber es geht doch um Kunst. In England und den USA ist es vollkommen selbstverständlich, assoziativ zu texten und seltsamen Launen zu folgen. Hier wollen alle immer davon singen, wie es ihnen geht“, wundert er sich über die Tatsache, dass er damit hierzulande so sehr herausragt). Aber es ist dennoch erstaunlich, wie er es schafft, Wörter wie „Hauhechelbläulinge“ ganz selbstverständlich klingen zu lassen oder dafür zu sorgen, dass man tagelang einen schrulligen Refrain wie „Anbei die Rollei von Vivian Maier” nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Sprache ist auf Kung Fu Fighting nicht nur das Medium, sondern Potenzial, Rohstoff, Instrument. Sie wird mit einer Gewalt und Fantasie behandelt, dass man tatsächlich Bob Dylan als Referenz anführen muss.
Die Musik dazu ist genauso magisch. Flöten (!) und der Bass könnten als wichtigste Instrumente dieser Platte gelten, doch eine Hierarchie innerhalb des Sounds zu bilden, macht kaum Sinn. Eine riesige Zahl an Instrumenten trifft auf eine beeindruckende Musikalität und einen unerschöpflichen Fundus aus Wissen, Erfahrung und den Ergebnissen von Reflexion. Erdmöbel können zackig sein (Bewegliche Ferien ist nicht ganz Superpunk, aber immerhin Die Sterne), todschick (Zollstockbad erinnert mit Bläsern und Harmoniegesang an die schönsten Momente von Belle & Sebastian) oder auch wütend und gefährlich wie im Rausschmeißer Peng. Mal dominiert eine Kuhglocke ein Lied (im eleganten Gefäße), mal ein Rhodes-Piano (Jetzt).
Im Prinzip ist hier alles möglich: Blinker ist ein Start ohne Abtasten, beinahe klingt dieses Auftaktlied, als gebe es da noch ein paar Takte davor, die versehentlich aber nicht auf der CD zu hören sind. Nach 6 Sekunden setzt der Gesang von Markus Berges ein, nach 30 Sekunden gibt es den ersten Refrain. Das Ergebnis ist zugleich verspielt und clever, eingängig und widerspenstig. Cardiff schickt Edgar Wallace in einen Jazzkeller, der Titelsong ist im Prinzip ein Reggae, Shenzhen oder Guangzhou wird tatsächlich ein Duett mit Désirée Nosbusch.
Das ist enorm spannend, kreativ und einzigartig. Die Süddeutsche ist schon wieder begeistert. „Dieses Album hebt die Laune etwa genauso wie stabiles Hochdruckwetter im Oktober. Man weiß, wenn es vorbei ist, wird alles dunkler und es wird lange Zeit so bleiben“, schreibt sie über Kung Fu Fighting. Das stimmt.
Passt ja zum Bandnamen: Der Club der senkrecht Begrabenen.
httpv://www.youtube.com/watch?v=D1LfAs56IT0