Künstler | Example | |
Album | Live Life Living | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
„Die meisten der Songs des neuen Albums wurden während Easyjet-Flügen geschrieben. Das sind die einzigen Zeiten, wo ich schreiben kann. Ich stehe sonst entweder auf der Bühne oder ich schlafe“, sagt Example über Live Life Living. Natürlich ist das als Scherz gemeint. Trotzdem hat der Mann, der seine Karriere 2007 auf Mike Skinners Label „The Beats“ begann und nun (nach zwei Nummer-1-Hits im UK und Gastauftritten unter anderem für Professor Green, Calvin Harris und die Pet Shop Boys) vom Zoo Magazine als der „Coolste Brite 2014“ gefeiert wird, damit unfreiwillig auf einen Schwachpunkt seines fünften Longplayers hingewiesen: Einiges auf Live Life Living klingt ein bisschen arg hastig und unausgegoren.
One More Day (Stay With Me), das in Zusammenarbeit mit Alex Smith (Metrophonic) entstanden ist, klingt wie straight from 1992, und das ist keineswegs als Kompliment gemeint, auch wenn Example diese Referenzen ganz bewusst heraufbeschwört. „One More Day erinnert mich an all die großartigen, euphorischen Momente in den 90er Jahren, aber es enthält auch einige Kniffe Marke 2014. Für einen zusätzlichen Energie-Boost habe ich auch einen Rap-Part eingebaut – einige Fans haben mich angebettelt, wieder zu rappen, nachdem ich auf den letzten Singles nur gesungen habe“, sagt der 32-jährige Londoner. Seen You paart offenbar einen alten Backing-Track von Dr. Alban mit uninspirierten Liebesschwüren, die auch dann nicht glaubwürdiger werden, wenn man weiß, dass Example gerade die australische Schauspielerin Erin McNaught geheiratet hat, die er im Booklet als Inspirationsquelle für die meisten seiner neuen Tracks angibt.
Der Rausschmeißer Longest Goodbye zählt wohl auch dazu, zumindest hat das Lied eine Panflöte (!) und eine schlimme Kitsch-Melodie zu bieten. Gerettet wird der Song aber, ausgerechnet, vom Gesang. Die Stimme von Example klingt heiser, echt und leidenschaftlich, genau das ist es, was hier letztlich funktioniert. Dass der einstige Rapper mittlerweile dank solcher Momente aufhorchen lassen kann, ist die erste wichtige Erkenntnis von Live Life Living. Das hat durchaus überraschende Effekte: Only Human wird eine düstere Variante von Synthiepop, als hätte jemand den Editors endgültig die Gitarren weggenommen oder Depeche Mode wieder ein gutes Stück Aggressivität injiziert. Auch in At Night lässt Example diese bedrohliche, tiefe Stimme erklingen, das Ergebnis wäre der perfekte Soundtrack für die Disco-Szene in The Crow.
Die zweite Erkenntnis dieses Albums ist: Nach wie vor ist kaum jemand in der Lage, so frech Stile zusammenzuwerfen und sie mit einem großen Rührlöffel aus Feierlaune zu vermischen. Take Me As I Am beginnt fast wie Kuschelrock, bewegt sich nach dieser Finte aber noch in mindestens drei andere Genres. „Es war der erste Track, den ich für das Album gemacht habe. Ich wusste, dass ich etwas machen wollte, was ich noch nie vorher gemacht hatte. Also dachte ich mir, ich fange einfach mal mit einer Klavierpassage an, dann denken die Leute, sie hören ein neues Adele-Album. Dann kommt ein Trance-Break, der wie ein ganz gewöhnlicher rückwärts abgespielter Calvin Harris-Loop klingt. Und schließlich platzt die Bombe und die Leute denken: Was zum Teufel ist das?“, umschreibt Example treffend die Konstruktion des Tracks.
Auch der Opener Next Year, eins von drei Stücken, an denen Stuart Price (Zoot Woman) beteiligt war, ist ein gutes Beispiel dafür: Es dürfte wenige Irgendwie-noch-immer-HipHop-Tracks geben, in denen innerhalb von fünf Minuten so viel passiert. 10 Million People will plakativ, ambitioniert und originell sein und schafft tatsächlich eine brauchbare Balance zwischen all diesen Zielen.
Am besten ist Example nach wie vor, wenn er alles dem Wumms unterordnet: Der Titeltrack wird live sicherlich ein Fest sein. Auch All The Wrong Places, ein Rückblick auf die Streiche, Sünden und amüsanten Fehltritte der Jugend, ist ein Kracher, der nicht subtil sein will, sondern bloß effektiv – wie Faithless nach einer Druckbetankung mit 70.000 Litern Red Bull.
Auf den Punkt bringt dieses Prinzip die Single Kids Again. „I wanna feel oh so young today / so let’s behave like kids again“, lautet die Aufforderung, zu einer Strophe, die auch zu Hot Chip passen würde, und einem Refrain, der unmittelbar aus der teuflischen Werkstatt von David Guetta entflohen zu sein scheint. Auch The Prodigy klingen, nicht nur in diesem Track, an – der Versuch der neuen Plattenfirma, das Genre-Mischmasch von Example als „Electronic Rock“ einzuordnen, ist deshalb gar nicht so verkehrt. Denn auch wenn die Song-Qualität hier nicht immer im grünen Bereich ist: Das Energielevel stimmt.
Example spielt Kids Again ernsthaft und live für die BBC.
httpv://www.youtube.com/watch?v=_5s5LoCoc1Q