Künstler | Ezra Furman | |
EP | Big Fugitive Life | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Das ist dann wohl das Thema des Jahres. „We dedicate this record to refugees of all kinds, all over the world. May all the wanderers find the homes they seek, and and may those with power welcome them as fellow citizens of humanity“, sagt Ezra Furman über diese bereits im August veröffentlichte EP. Wer vermutet, da würde jemand bloß sein Fähnchen in den Wind hängen und humanitäre Tragödien ausnutzen, um seine Musik zu vermarkten, liegt natürlich falsch. Zum einen fasst der Mann aus Chicago den Begriff des Flüchtlings auf Big Fugitive Life recht weit. Für ihn zählen alle dazu, „who have been left to drift unsupervised through the modern world“. Zum anderen stammen etliche der Stücke noch aus einer Zeit, als Fragen von Migration und Integration weder in Europa noch in den USA die öffentliche Debatte prägten.
Genauer gesagt: Vier der sechs Lieder waren für Perpetual Motion People gedacht, das Album, das ihm im vergangenen Jahr reichlich Lob einbrachte. Zwei Songs stammen sogar noch aus den Sessions zu The Year Of No Returning (2012). Von Resteverwertung kann bei Big Fugitive Life freilich keine Rede sein – auch jenseits der politischen Aktualität überzeugen alle Stücke, zudem wirkt das Werk tatsächlich wie ein stimmiger, in sich geschlossener Liedzirkel. Genau aus diesem Grund wählte Ezra Furman auch die Form einer EP. „This feels like an end of a chapter for me, musically. A beautiful, insane chapter“, sagt der 30-Jährige und kündigt hinsichtlich seiner weiteren Pläne an: „Keep an ear out for our next phase – we’ve been dreaming big.”
Big Fugitive Life ist dabei zweigeteilt: Es gibt eine rockige A-Seite und eine ruhige B-Seite, jeweils mit drei Songs. Teddy I’m Ready macht den Auftakt der EP. Zunächst meint man zu bemerken, wie wenig die Stimme von Ezra Furman zum Klischee vom kernigen, maskulinen Rock’N’Roll zu passen scheint. Nicht nur wegen des Saxofons und der Ankündigung „I’m ready to rock and roll“, die so oft geäußert wird, als müsse sich der Sänger erst selbst noch davon überzeugen, kommt dann aber doch so etwas wie Springsteen-Feeling auf. Halley’s Comet handelt von verpassten Chancen, die sich so schnell nicht mehr bieten. Little Piece Of Trash wird tatsächlich dreckig, wild, gefährlich und ausgelassen, sodass man hören kann, wie die persönliche Definition von Rock’N’Roll für Ezra Furman lautet: „A madness that overtakes your mind and body. It’s wanting to go somewhere you’ve never been, knowing you’re on your way.“
Die zweite Seite setzt auf „acoustic guitar as open wound, a troubled mind on display“, sagt Ezra Fußmann, das Ergebnis werde „emotional in a different way, tender like a bruise“. Auch das wird auf Big Fugitive Life bestätigt: Das reduzierte Splash Of Light hat noch am ehesten den Charakter eines Demos, die beiden anderen Tracks können als Höhepunkte seines Schaffens gelten. Penetrate gemahnt an Bob Dylan, auch in der vielschichtigen Auslegung des Verbs im Songtitel: Eingedrungen wird hier nicht nur in verschiedene Körperöffnungen, sondern auch in den Geist, in Häuser und Länder.
Noch stärker wird The Refugee, das die EP abschließt. „My first song entirely concerned with my Jewish background and present, a song dedicated to my grandfather who fled the Nazis as well as to all of the refugees desperate for a home today“, erklärt Ezra Furman den Ausgangspunkt. Was er daraus macht, ist ein erschütternder Text („This is the sound of the Jews who refuse to die.“), begleitet von akustischer Gitarre, einem fast schockierend brüchigen Kontrabass und dramatischen Geigen. Aus dem Lied sprechen Unerschütterlichkeit und Fassungslosigkeit angesichts des Schicksals als Flüchtling, Hoffnung und Trotz, mit denen der Situation begegnet wird. Selbst ein Meister wie Leonard Cohen hätte so ein Thema nicht mit mehr Würde vertonen können.