Künstler | Father John Misty | |
Album | I Love You, Honeybear | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Vielleicht das einzig Blöde an I Love You, Honeybear: Man kann eine Menge schlaue Dinge über das zweite Album von Father John Misty anmerken (unten werde ich das versuchen), sie werden aber nie so schlau sein wie die Gedanken des Künstlers selbst. Lassen wir also Father John Misty (bürgerlich: Josh Tillman; bis zu Fear Fun, seinem ersten Album unter dem neuen Namen im Jahr 2012, Mitglied bei Fleet Foxes) den Vortritt.
“I Love You, Honeybear is a concept album about a guy named Josh Tillman who spends quite a bit of time banging his head against walls, cultivating weak ties with strangers and generally avoiding intimacy at all costs”, erklärt der 33-Jährige den Inhalt seines Werks. “This all serves to fuel a version of himself that his self-loathing narcissism can deal with. We see him engaging in all manner of regrettable behaviour.”
Am besten wird das vielleicht in der Single Bored In The USA deutlich. Über weite Strecken gibt es nur Klavier und Gesang, gelegentlich kommen exquisite Streicher-Arrangements dazu, ebenso feinsinnig ist der Text. Den legendären Songtitel von Bruce Springsteen leicht abzuwandeln, ist vielleicht nur eine kleine Idee, aber Father John Misty schafft es, eine große Tragik in dieses Lied zu legen. Auch in Holy Shit verschmilzt er persönliche Krisen und die Lage des Landes, sucht sehr feingeistig nach den Zusammenhängen zwischen dem individuell gefühlten Weltschmerz und dem global verbreiteten Zeitgeist.
Als wichtige Einflüsse für sein zweites Album benennt der Künstler John Lennon, Scott Walker, Randy Newman, Harry Nilsson, Dory Previn, Woody Allen, Kurt Vonnegut, Alejandro Jodorowsky und Muhammad Ali. Ein Name fehlt noch in dieser illustren Reihe: Vieles auf I Love You, Honeybear erinnert an Rufus Wainwright: die große Stimme, der elegante Sound, der Hang zum Schwelgerischen und vor allem die Obsession für Sex und andere Angst einflößende Lebenskämpfe.
Man kann die Lieder von Father John Misty als verruchte Salonmusik betrachten, die stilistische Bandbreite ist allerdings enorm. In Chateau Lobby #4 (In C For Two Virgins) darf eine Mariachi-Kapelle ran, True Affection bekommt einen Elektrobeat verpasst. When You’re Smiling And Astride Me setzt auf Frauenchöre und eine George-Harrison-Gitarre, Strange Encounter hat sehr schöne Westcoast-Harmonie zu bieten.
“It has a decidedly more soulful presence than Fear Fun, due in no small part to the fact that I am truly singing my ass off all over this motherfucker”, umschreibt Father John Misty seinen neuen Sound, der in der Tat nur noch wenig mit Fleet Foxes oder frühen Förderern wie Damien Jurado gemein hat. “The album is really characterized by the scope and ambition of the arrangements. Nearly every tune is augmented by something special.” Um die Größenordnung von „special“ noch einmal deutlich zu machen: Als er unlängst Bored In The USA bei David Letterman spielte, rückte er dort mit einem 22-köpfigen Streicherorchester an.
Tatsächlich gibt es auf I Love You, Honeybear auch noch eine Sitar zu hören, in The Ideal Husband zeigt er mit schmissigem Beat, satter Orgel und rockigem Gitarrensolo, dass er auch richtig fies klingen kann, wenn er will: “My ambition, aside from making an indulgent, soulful, and epic sound worthy of the subject matter, was to address the sensuality of fear, the terrifying force of love, the unutterable pleasures of true intimacy, and the destruction of emotional and intellectual prisons in my own voice.”
Auch das ist nicht übertrieben, denn die wahre Stärke dieses großartigen Albums sind die Texte. Sie sind so schlau, dass man sich manchmal fragt, ob dieses Ausmaß an Intelligenz nicht vielleicht schädlich für den Künstler sein könnte. Der Schmerz, von dem er singt, das Kopfschütteln über die Welt, das Wissen um die eigene Unvollkommenheit bestätigen diesen Verdacht bloß noch. Tillman beherrscht tolle Zweizeiler ebenso wie falsche Fährten und geschickte Anspielungen. Im Titelsong ist die Instrumentierung fast kitschig, der Gesang geradezu schmalzig. Doch der Track erweist sich mit Zeilen wie „Everything is doomed / and nothing will be spared / but I love you, honeybear.” als ein Lied über die ebenso egoistische wie vergebliche Flucht vor einer Welt, die hier ein perverses Wirtschaftssystem ebenso einschließt wie schlechte Gene und korrupte Politik.
Ein Lied wie Nothing Good Ever Happens At The Goddamn Thirsty Crow könnte man Easy Listening nennen, wenn es nicht über eine der besungenen Frauen heißen würde: “She gets down more often than a blow up doll.” Den vielleicht größten poetischen Moment gibt es in The Night Josh Tillman Came To Our Apartment. “I just love the kind of woman”, singt er da, und dann folgen Worte, die so böse sind, wie man sie nach diesem harmlosen Beginn niemals hätte erwarten können: “who can walk over a man / I mean like a goddamn marching band.”
Bei so viel dichterischem Können darf Father John Misty gerne auch das Schlusswort haben. “The album progresses, sometimes chronologically, sometimes not, between two polarities: the first of which is the belief that the best love can be is finding someone who is miserable in the same way you are and the end point being that love isn’t for anyone who isn’t interested in finding a companion to undertake total transformation with”, sagt er und verspricht auch damit nicht zuviel: “I won’t give away the ending, but sex, violence, profanity and excavations of the male psyche abound.”
Father John Misty singt Bored In The USA live in Lettermans Late Show.
https://www.youtube.com/watch?v=hIFrG_6fySg