Künstler | Foxygen | |
Album | …And Star Power | |
Label | Jagjaguwar | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Fantasie haben heißt nicht, sich etwas auszudenken, es heißt, sich aus den Dingen etwas zu machen.
Dieses Zitat von Thomas Mann muss man sich immer wieder vor Augen halten, wenn man …And Star Power bewerten möchte, das dritte Album von Foxygen. Es wäre ein Leichtes, Sam France und Jonathan Rado – den beiden Köpfen hinter dem Duo aus Los Angeles – wie schon beim Vorgänger We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic auch diesmal zu unterstellen, bloß Nachahmer zu sein, Plagiatoren, eine wenig inspirierte Reinkarnation von Pop-Formaten, die es längst gibt. Als „ein Paradies für Namedropper“ hat der Rolling Stone die neue Platte gekennzeichnet, und man kann sich natürlich eine Freude daraus machen, hier die Fäden zu entwirren, die zu Bob Dylan, Steely Dan oder den Monkees zurückreichen. Man würde dabei aber den eigentlichen Kern dieser Platte verkennen. Nämlich die Art und Weise, wie Foxygen die Musik ihrer Vorgänger nicht als Muster verwenden, sondern als Material. Und wie sie es schaffen, daraus ein einmaliges Mammut-Werk zu machen, 24 Songs in 82 Minuten, verteilt auf zwei CDs.
Die Fantasie spielt dabei gleich in mehrfacher Hinsicht die entscheidende Rolle. Zunächst für den Rahmen, den sich Foxyden für …And Star Power ausgedacht haben. „Die Hauptfigur, dargestellt von Sam, wird von Aliens entführt, aber er weiß eben nicht, ob er sich das nur einbildet“, umschreibt Jonathan Rado den Ausgangspunkt, im Laufe des Albums werden Foxygen dann nach und nach von einer Band namens „Star Power“ übernommen.
Das offizielle Manifest zu diesem Album vermittelt einen guten Eindruck davon, wie man sich das vorzustellen hat. „Foxygen haben sich mit Star Power zusammengetan. Es ist eine Punkband und du kannst auch dabei sein. Star Power ist der Radiosender, den du nur hörst wenn du auch daran glaubst. Eine Schar von Gaststars. Musikalische Suiten mit römischen Zahlen. Gesang aufgenommen auf einem schäbigen Aufnahmegerät im Beverly Hills Hotel und im Chateau Marmont. Schlanke 82 Minuten Psych-Ward-Folk, Cartoon-Fantasien, Soft-Rock-Genuss, D&D-Doomrock und paranoide Spielzimmer-Eskapaden. Ein filmisch-auditives Abenteuer für Freaks, Skull Kruncher, Entführte und Außenseiter. Wir sind alle Stars der Szene.“
Wer solche Formulierungen findet, entpuppt sich natürlich auch musikalisch als Freigeist. Vor allem die zweite CD beweist das, die oftmals eher Ideen als Songs versammelt und gelegentlich Passagen enthält, für die einige Leute die Bezeichnung „Musik“ wohl nicht mehr gelten lassen werden. Brooklyn Police Station könnte auch ein Fiebertraum sein, in Cold Winter/Freedom meint man, die Flaming Lips hätten die Hälfte ihres Equipments gegen noch mehr Drogen eingetauscht, um sich am Ende in Velvet Underground zu verwandeln.
Doch auch schon der erste Teil von …And Star Power ist unfassbar facettenreich – eklektisch wie das Weiße Album, manchmal innerhalb eines einzigen Songs. Die Bandbreite reicht vom harten Gitarrensound, garniert mit Sprachfetzen (der Opener Star Power Airlines) über düster-schleppende Momente mit Doors-Orgel (Cosmic Vibrations) und feinsten Crosby, Stills & Nash-Wohlklang (Star Power IV: Ooh Ooh) bis hin zu Songs, die wie ein besonders feuriger Outtake der Musik klingen, die die Rolling Stones 1971 in der Villa Nellcôte aufgenommen haben (666).
„Der Foxygen-Sound sind deine Lieblingslieder in wahnsinnig“, erklärt Sam France im Rolling Stone diesen Ansatz. „Die Star-Power-Welt, die wir uns jetzt ausgedacht haben, die könnte schon auch die Siebziger sein, Todd Rundgren und so was. Aber alles beruht auf gewissen Archetypen, und daher ist es der nächste logische Schritt nach Ambassadors, ein paar Jahre später, aber mit denselben Figuren.“
Zu den Stärken des Duos gehört dabei, dass trotz des offensichtlichen Hangs zum Durchgeknallten auch kompakte, stimmige, überzeugende Songs herausspringen. How Can You Really hat einen zuckersüßen Westcoast-Sound, noch näher an den Säulenheiligen des Genres als etwa Ben Kweller das hinbekommt. Mattress Warehouse weiß um die Kraft eines guten Grooves. Das wunderbare Star Power III: What Are We Good For vereint zynischen Sprechgesang in den Strophen mit frei assoziierten Instrumentalpassagen und einem himmlisch naiven Refrain. Flowers wirkt wie eine putzige John-Lennon-Ballade.
Wer das als Imitation abtut oder vorschnell mit dem „Retro“-Label um sich wirft, erntet von Foxygen nur ein Schulterzucken, denn France und Rado, beide Jahrgang 1990, haben ihre ganz eigenen Interpretationen von Kreativität und Originalität. „Unser Sound ist allein deshalb nicht ‚echt’, weil es eben 2014 ist. Die Vergangenheit gibt es heute nicht nur in aller Weite und Breite – sie ist auch enorm verfügbar. Man kann technisch total futuristische Musik machen. Oder eine, die sich exakt wie die Zwanziger anhört. Ich finde Geschichte und ihre Narrative schon wichtig – aber man kann sich auch dafür entscheiden, sie völlig zu ignorieren“, sagt Sam France und ergänzt: „Wir mögen die alte Ästhetik, aber wir haben sie uns von den 2000ern her, von den Flaming Lips oder Beck aus, erschlossen. (…) Künstler sind immer von anderen Künstlern beeinflusst, hommagieren, greifen auf.“
Wie virtuos sie dieses Konzept umsetzen und wie gewichtig ihr Eigenanteil dabei ist, wird vor allem in den experimentellsten Passagen von …And Star Power deutlich. Star Power II: Star Power Nite ist pures Chaos. In Can’t Contextualize My Mind scheinen The Who Amok zu laufen. You & I klingt, als kämen MGMT in Wirklichkeit (und nicht bloß in ihren feuchten Träumen) aus den Seventies. I Don’t Have Anything/The Gate wirkt, als sei hier bloß ein Gefühl in Töne geflossen, und dieses Gefühl heißt Larmoyanz. Das instrumentale Wally’s Farm scheint die Titelmusik für das bekiffteste Kinderfernsehen der Welt werden zu wollen.
Die Musik von Foxygen lebt in anderen Welten, in Träumen, im Weltall, im Rausch, in der Fantasie. Auch die Vergangenheit gehört zu diesen Welten, aber sie ist eben nur eine unter vielen. Im Presseinfo zu ihrem Album zitieren Foxygen eine Rezension aus dem Jahr 1973 zum Album A Wizard, A True Star von Todd Rundgren. „Todd Rundgren is preparing us for a generation of frenzied children who will dream in animation”, heißt es darin. Foxygen sind diese Kinder – und erfreulicherweise lassen sie uns an ihren Träumen teilhaben.