Künstler | Frank Turner | |
Album | Positive Songs For Negative People | |
Label | Universal | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Überall hängen sie gerade: Plakate mit dem Konterfei von Frank Turner. In einem Weinkeller habe ich vorhin eine Postkarte gefunden, die für sein neues Album Positive Songs For Negative People wirbt. Und bei Twitter läuft unter dem Hashtag #FTRAOK eine Kampagne zur Feier der neuen Platte.
Es gibt eine Menge Leute, bei denen man „Ausverkauf!“ rufen würde, wenn sie ihre Bodenständigkeit so sehr vor sich hertragen wie Frank Turner und zugleich einen solchen Werbeaufwand betreiben. Aber an dem 33-Jährigen perlen solche Attacken ab: Die Sache mit dem Sellout-Shitstorm kennt er schon aus der Zeit, als er seine Hardcore-Band Million Dead hinter sich ließ und sich stattdessen dem Dasein als Singer-Songwriter widmete. Und sie waren ihm damals schon egal.
Derlei Vorwürfe wären auch vollkommen unangebracht. Denn so gerne man diesen ganz besonderen Künstler ganz für sich alleine haben möchte: Das morgen erscheinende Positive Songs For Negative People zeigt auf unnachahmliche Weise, dass das Einmalige an der Musik von Frank Turner nicht durch Exklusivität entsteht, sondern durch Universalität. Turner will am liebsten alle Menschen erreichen, beglücken, aufbauen. Das galt schon früher für seine Songs, nun wird es unverkennbar. „Ich finde, dass dieses Album alles auf den Punkt bringt. Es ist eine Zusammenfassung und das Ergebnis der ersten fünf Alben“, sagt der 33-Jährige deshalb wohl auch.
Wieder sind es Lieder vom Widerstand, vom Stolz, von der Zuversicht, die er singt. „We can get better because we’re not dead yet“, brüllt er in Get Better, zu einem Peitschenhieb-Schlagzeug und mit einer Attitüde, die das Leben nicht nur umarmt, sondern verschlingt. „If we all pulled together / we could lift up the weight off the world from your shoulders“, heißt das Versprechen in Glorious You, dessen hymnischer Sound ein wenig an Oasis denken lässt, auch wenn die Gallaghers natürlich niemals derart ihr Herz zu Markte getragen hätten. Auch Mittens ist eines dieser Lieder, die von etlichen anderen Künstlern vielleicht peinlich klingen würden, aus dem Mund von Frank Turner aber bloß herzzerreißend aufrichtig wirken. Das liegt nicht an seiner Hardcore-Vergangenheit, sondern an der Tatsache, dass er jedes Wort wahrscheinlich wirklich genau so meint.
Ein paar weitere überraschende Parallelen kann man auf Positive Songs For Negative People ebenfalls entdecken. Josephine kommt aus demselben Genpool wie die wirklich ergreifenden Momente der Killers. So wie Love Forty Down könnten Mumford & Sons klingen, wenn sie ein Leben hätten statt einen Businessplan. Und Demons beweist mit seinem außergewöhnlichen Riff, dass Frank Turners Queen-Coverversion auf der letzten Compilation The Third Three Years nicht bloß ein Gimmick war, sondern auch Ausdruck einer ausgeprägten Lust auf Komplexität und Virtuosität.
Produziert wurde die Platte innerhalb von neun Tagen von Butch Walker in Nashville, wieder mit den Sleeping Souls als bewährter Begleitband. „Wenn eine Band ihr Debütalbum aufnimmt, dann ist es erfrischend und man spürt eine Begeisterung, die ihnen im Laufe der Zeit oft abhanden kommt. Ich wollte eine Platte machen, die sich wieder so jung und aufgedreht anhört”, beschreibt Frank Turner seine Zielsetzung für sein weitgehend live aufgenommenes sechstes Studioalbum. „Das Endergebnis ist genau so, wie ich es mir gewünscht hatte“, freut er sich nun.
Die Frische und Überzeugungskraft dieser Songs ist in der Tat erstaunlich: Wie ein Kapitän feuert Turner seine Mannschaft in der Single The Next Storm an: „So open the shutters, raise up the matters / rejoice, rebuild, the storm has passed.“ Das Ziel ist keine paradiesische Insel und keine Küste voller Gold und Diamanten, sondern das Leben selbst, mit den Zutaten, die es fantastisch machen können: Sonnenschein, Abenteuer, Gemeinschaft. Das irisch angehauchte The Opening Act Of Spring greift ebenfalls die Sturm-Metapher auf und zeigt zudem: Frank Turner braucht keinen Verstärker für seinen Sound, und erst recht nicht für seine Leidenschaft. Und Silent Key, mit gesanglicher Unterstützung von Esme Patterson, wird magisch.
„Come on“ sind die wichtigsten Worte auf diesem Album, aber es gibt auch ein paar spannende Ausreißer vom Sound voller Vollgasgeben, Fäusteballen und Pferdestehlen. Der Song For Josh, live aufgenommen im 9:30 Club in Washington DC und einem Freund gewidmet, der Selbstmord begangen hat, ist erhebend und rührend – auch weil es die eigenen Schuldgefühle artikuliert, in der dunkelsten Stunde nicht geholfen zu haben. Das passend betitelte Out Of Breath ist ein sehr Pogo-taugliches Kontrastprogramm in die andere Richtung.
Auch The Angel Islington, der Auftakt der Platte, fällt aus dem Rahmen. Es ist ein Loblied auf Nordlondon, mittlerweile die Heimat von Frank Turner. Fast klingt dieser Opener wie ein Demo oder wie jemand, der diese Sache mit der Selbstveräußerung zur Gitarre erst noch übt. Aber natürlich beweisen die folgenden elf Songs, dass man es hier nicht mit einem Anfänger zu tun hat, sondern mit einem Großmeister. Seine oft simplen Wahrheiten bekommen auch auf Positive Songs For Negative People allein durch Frank Turners sagenhafte Inbrunst eine fast philosophische Tiefe. Wenn diese Wohltat dank Plakaten, Postkarten und Twitter künftig ein paar mehr Leute erreicht – umso besser.
Frank Turner spielt Get Better live in Berlin.
https://www.youtube.com/watch?v=DPgbO2iIw7I