Künstler | Gabrielle Aplin | |
Album | English Rain | |
Label | Parlophone | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Neben dem allgegenwärtigen Regen, der diesem Album den Namen gegeben hat, zeichnet England erfreulicherweise noch (mindestens) eine andere wichtige Eigenschaft aus: eine Begeisterungsfähigkeit für Pop, die das Land tief durchdringt. Gabrielle Aplin ist ein Ergebnis dieser Begeisterungsfähigkeit. Bei YouTube erregte die 21-Jährige mit Coverversionen erste Aufmerksamkeit, es folgte ein Plattenvertrag, dann dieses Debütalbum. Mittlerweile hat English Rain auf der Insel Goldstatus erreicht.
Der Grund für diesen Erfolg ist einigermaßen simpel: Eine hübsche Stimme mit einem hübschen Gesicht singt hübsche Lieder. Fertig. Wer jetzt befürchtet, dieses Rezept könnte leicht in allzu seichtes Territorium, in die Nähe von Schlager, Amy Macdonald und substanzloser Putzigkeit führen, liegt nicht ganz falsch. Gelegentlich gibt es auf English Rain diese Tendenz. Ready To Question beispielsweise ist deutlich zu plump in der Wahl seiner Mittel, die auch wirklich idiotensicher dafür sorgen sollen, dass das Lied als hymnisch erkannt wird. Und in punkto Niedlichkeit geht Gabrielle Aplin zumindest bei den Danksagungen im Booklet in die Vollen, denn ihr größtes „Thank you“ geht selbstverständlich an ihre Anhängerschaft, ergänzt um den Hinweis: “I don’t like to use the word ‘fan’. I prefer to call you guys friends.”
Was diese Platte vor Banalität und ärgerlicher Anbiederung schützt, sind die Texte. Die Melodien könnten kaum schöner sein, die Stimme ist durchweg so traumhaft wie im zauberhaften How Do You Feel Today?, der Sound ist höchst angenehm ungefähr im Stile der Corrs, aber schon der Opener Panic Cord lässt aufhorchen: Gabrielle Aplin singt wie ein Rührmichnichtan, aber sie singt über das Ende einer Beziehung und über die Tatsache, dass man manchmal auch der Arsch sein muss, wenn man erkannt hat, dass es kein gemeinsames Glück mehr geben wird. “This meant more to you than it did to me / it was full of doubt and you believed”, heißt eine der Zeilen. Darin steckt nicht nur Lebensweisheit, sondern auch eine erstaunliche Härte.
Auch das schmissige Keep On Walking handelt davon, dass es schmerzhaft sein kann, sich zu emanzipieren, dass am Ende aber eben eine Befreiung wartet. Please Don’t Say You Love Me verweigert schon im Titel die klassischen romantischen Erwartungen, die folgende Zeile heißt dann auch noch „because I might not say it back“. Home, ebenfalls eine Singleauskopplung, besingt die Lust auf Leben, inklusive Fehlern, Enttäuschungen und Durcheinander. Es sei das ehrlichste Lied, das sie jemals geschrieben habe, sagt Gabrielle Aplin dazu, und diese Authentizität hört man dem Lied an, das reduziert bleibt, aber nicht kraftlos.
Wenn Track 6 mit ein paar Klaviertönen beginnt, ertappt man sich dabei, dass man sich wahrscheinlich die ganze Zeit über unterbewusst schon gewünscht hat, diese Stimme würde ein Snow Patrol-Cover singen. Das sich daraus entwickelnde Lied wird dann doch nicht Chasing Cars, sondern Salvation, dafür folgt wenig später eine umso spektakulärere Coverversion: The Power Of Love wird hier, fast nur mit Klavier, Gesang und Streichern, bewegend und besonders. Dass Holly Johnson, der den Song einst geschrieben und mit Frankie Goes To Hollywood im Jahr 1984 zum Riesenhit gemacht hat, dieser Version seinen Segen gegeben hat, verwundert kein bisschen.
Danach hat English Rain allerdings einen deutlichen Durchhänger, was einerseits fast unvermeidlich ist bei der hohen Qualität der Songs bis dahin, andererseits überrascht, weil Gabrielle Aplin sich für ihr Debüt natürlich Profis an die Seite geholt hat wie Produzent Mike Spencer (Foxes, Emeli Sandé, Ellie Goulding), der auch etliche Lieder mitgeschrieben hat, oder Nick Atkinson (der unter anderem schon für Beyoncé und Ronan Keating komponiert hat).
Erst November, der vorletzte Song der Platte, ist wieder etwas besser, allerdings trotzdem kaum mehr als Durchschnittsware. Auch der Schlusspunkt Start Of Time ist ein wenig enttäuschend, jedenfalls ist er nicht das eindrucksvolle Finale, das man angesichts der ersten Hälfte von English Rain erhoffen durfte. Aber es gibt da ja auch noch einen Hidden Track namens Take Me Away, nur mit akustischer Gitarre, Gesang und ganz viel Leidenschaft. Es ist das einzige Lied, das Gabrielle Aplin ganz allein geschrieben hat, und es ist ein beinahe intimer Moment, der nicht nur zeigt, wo die 21-Jährige herkommt, sondern vielleicht auch, wo sie hin will – und damit für die wenige mediokren Passagen von English Rain entschädigt.
Ein Blick ins Tourtagebuch von Gabrielle Aplin.
httpv://www.youtube.com/watch?v=MMJ1tucYHjI#t=11