Garbage – „Strange Little Birds“

Künstler Garbage

Strange Little Birds Garbage Kritik Rezension
Unmittelbarkeit ist ein wichtiger Wert auf „Strange Little Birds“.
Album Strange Little Birds
Label Stun Volume
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Es gibt viele Räume, in denen man sich Garbage gut vorstellen kann. Sonnendurchflutete Terrassen, auf denen sie ihren Ruhm und Reichtum nach etlichen Grammy-Nominierungen und 12 Millionen verkauften Alben genießen. Fotostudios, in denen sie ihre stets makellose Ästhetik noch ein bisschen weiter ausdefinieren. Festivalbühnen, auf denen sie in Erinnerung rufen, wie wichtig ihre Rolle sowohl für die Versöhnung von Computer und Gitarre als auch für die Aufwertung der Frontfrau war. Sogar in einer Raumstation würden sie mit ihrem stets avantgardistischen Anspruch und ihrem Hightech-Sound keineswegs verloren wirken.

Ein Ort, in den Shirley Manson, Steve Marker, Duke Erikson und Butch Vig eher nicht zu passen scheinen, hat eine entscheidende Rolle für Strange Little Birds gespielt, ihr heute erscheinendes sechstes Album: ein Keller. Genauer gesagt: Der ziemlich provisorische Probraum im Heimstudio von Butch Vig in Los Angeles.

Dort trafen sich Garbage im Frühjahr 2013 und verspürten eine Freiheit, die ihnen ein High-End-Studio nie hätte bieten können. Die Band hätte sich in der Umgebung des Proberaums gewissermaßen wieder in Teenager verwandelt, die nicht wissen, was sie tun, sagt Gitarrist Steve Marker. Auch Sängerin Shirley Manson fühlt sich durch die neue Umgebung wieder in die Situation in den Anfangstagen der Band versetzt. „Die neue Platte erinnert mich viel stärker als alle früheren an unser Debüt“ sagt sie. Und Butch Vig, bei Garbage nach wie vor für die Drums zuständig, bekennt: „Wir haben uns in die Unmittelbarkeit verliebt!“

Man hört Strange Little Birds dieses Fehlen von (eingebildeten) Beschränkungen tatsächlich an. Schon der Auftakt Sometimes bietet keine Spur von Pop und wird stattdessen aggressiv, finster und dräuend. Night Drive Loneliness entwickelt eine unnachahmliche Atmosphäre, eiskalt und doch mit ganz enormer Intensität. We Never Tell hat viel Energie und Drive, Even Though Our Love Is Dead kann man mit einigem Recht als ein Karriere-Highlight von Garbage betrachten – zugleich zeigt der Song, wie sehr die Stimme von Shirley Manson diese Band ausmacht.

„The more I see the clock ticking, the more it gives me fuel“, sagt die Sängerin über ihre trotzige Reaktion auf das eigene Altern, doch neben ihrer Rolle als treibende Kraft der Band erlaubt sie sich mittlerweile auch so etwas wie Sanftheit. „I used to feel so scared, and I think that is why I was so aggressive – but I’m much more willing to admit weaknesses than I was before.“ Einem Lied wie If I Lost You hört man das deutlich an – das Gefühl, das der Gedanke an Verlust hervorruft, ist nicht Wut, sondern Bedauern. Auch für die brodelnde Album-Schlusspunkt Amends gilt das. Es gibt auch mehr als 20 Jahre nach der Geburt von Garbage kaum andere Acts, die dieses Genre der Elektroballade so gut beherrschen.

Neben den kleineren und größeren Innovationen gibt es auf Strange Little Birds natürlich auch Konstanten. In erster Linie fällt auf: Garbage wollen noch immer anti sein, Not Your Kind Of People, wie sie es im Titel des letzten Albums 2012 zum Ausdruck gebracht hatten. „I feel that the musical landscape of late has been incredibly happy and shiny and poppy“, beschreibt Shirley Manson einen Trend, dem sie sich gerne entgegenstellen möchte. „Everybody’s fronting all the time, dancing as fast as they can, smiling as hard as they can, working on their brand. Nobody ever says: Actually, I’m lost and I don’t have a fucking clue what I’m doing with the rest of my life and I’m frightened.“

Zum Gegen-den-Strich-Charakter von Strange Little Birds gehört auch, dass es ein echtes Album-Album ist. Garbage denken hier ganz offensichtlich nicht in Singles. „Es gibt eigentlich keine fröhlichen Popsongs auf der Platte. Sogar Empty, das diesen großen, hymnischen Gitarrensound hat, ist im Text ziemlich düster“, sagt Butch Vig. In der Tat bräuchte dieser Song, zugleich die erste Singleauskopplung, nur ein bisschen mehr Gift und Galle, um ins Repertoire von Marilyn Manson zu passen. Etliche der besten Tracks sind in der Mitte des Albums platziert wie das packende Magnetized, das eine sehr coole Entwicklung nimmt und beim besten Willen nicht nach einer Band klingt, die satt ist.

Freilich ist Strange Little Birds nicht makellos. In So We Can Stay Alive wollen Garbage mal plakativ sein, was ihnen normalerweise gut steht, den Song aber in diesem Kontext wie einen Fremdkörper wirken lässt. Teaching Little Fingers To Play ist langweilig und selbstgefällig, bei Blackout geht das neue Streben nach Spontaneität nach hinten los: Der Song klingt zwar tatsächlich nach Proberaum, aber nicht nur auf gute Weise (organisch und demokratisch), sondern auch auf schlechte Weise (unfertig und zu lang).

Insgesamt ist Garbage allerdings eine interessante, ambitionierte und relevante Platte gelungen. Sie lebt vom Willen, in erster Linie das Gefühl eines Songs einzufangen statt einen möglichst perfekten Sound zu finden. Das ist für Garbage keine Neuerfindung, aber ein spannender Schritt in eine andere Richtung. Viel aufregender kann eine Band auf ihrem sechsten Album kaum klingen. Und viel souveräner schon gar nicht.

Wie im Keller, gibt es auch im Video zu Empty kein Tageslicht.

Website von Garbage.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.