Hingehört: Gin Wigmore – „Blood To Bone“

Künstler Gin Wigmore

Cover des Albums Blood To Bone von Gin Wigmore bei Universal
Auf „Blood To Bone“ setzt Gin Wigmore erstmals auch Elektronik ein.
Album Blood To Bone
Label Universal
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Auch bei einem Auftaktsong, der New Rush heißt, war so etwas wohl kaum zu erwarten: Das erste, was man auf dem dritten Studioalbum von Gin Wigmore hört, sind Synthesizer. Dann erklingt ein angeberischer Beat, der durchaus aus einem Drumcomputer kommen könnte, und dann der durch Stimmeffekte verfremdete Gesang. Dabei stand die 28-jährige Neuseeländerin bisher eigentlich für vergleichsweise traditionelle Blues- und Rockklänge, die sich in der Strophe von New Rush auch noch ausmachen lassen. Aber für Fans der ersten beiden Platten Holy Smoke (2009) und Gravel & Wine (2011) dürfte das durchaus ein Schock sein. „I got this feeling that I can’t go back“, singt Gin Wigmore, und das ist durchaus programmatisch zu verstehen.

„Die angestammte Komfortzone zu verlassen und Songs zu schreiben, die einfach mal ganz anders funktionieren, das war die Kernidee dieses Albums“, sagt Gin Wigmore, die dabei mit den Songwritern Charlie Andrew (Alt-J) und Joakim Ahlund (Chrissie Hynde) gearbeitet hat. „Es gab so viele Musikgenres, für die ich noch nicht mal wirklich aufnahmefähig war, bevor es mit der Arbeit an diesem Album losging – das ist fast schon so, als ob mein musikalischer Geschmackssinn durch diesen Prozess ganz neue Rezeptoren dazubekommen hätte.“ Sie sieht Blood To Bone als „Sprungbrett, von dem aus ich in die ganzen musikalischen Ecken eintauchen konnte, die mir vorher noch unbekannt waren.“

Die Vorab-Single Written In The Water ist sehr zackig und sehr gelungen, deutet die neue Richtung für dieses Album aber nur minimal an. Vielleicht liegt es daran, dass der Song erst im allerletzten Moment geschrieben wurde, als der Rest des Albums schon so gut wie fertig war – in jedem Fall ist er eher ein Element der Kontinuität als der Disruption. „Für mich fühlt sich der Song wie ein Stück an, das auch von meinem letzten Album Gravel & Wine hätte stammen können. Wir haben irgendwann einfach ‘Scheiß drauf’ gesagt – wir machen das jetzt einfach, weil es sich richtig anfühlt“, erklärt die Sängerin.

Der Wandel ist ansonsten durchaus substanziell, neben den elektronischen Instrumenten, die während der Aufnahmen mit Produzent Stuart Crichton in Wigmores Wahlheimat Los Angeles zum Einsatz kamen, trägt dazu vor allem eine neue Vorliebe für Groove bei. Eine Abkürzung wie DFU steht dann offensichtlich für „dancing for you“. Willing To Die baut auf ein Alan-Lomax-Sample, einen HipHop-Beat und die Gaststimmen von Suffa & Logic – ein Mix, der sich nicht nur faszinierend anhört, sondern auch erstaunlich organisch. Auch Holding On To Hell hat diesen Effekt: Der Song ist beileibe kein Highlight, eher einer der schwächeren auf Blood To Bone. Er zeigt aber doch, wie gut die Idee, mehr auf Beat und ein breiteres Spektrum an Einflüssen zu setzen, für diese Musik funktioniert. Aufgesetzt oder gewollt oder pseudo-modern wirkt das jedenfalls in keinem Moment.

Nothing To No One ist ebenfalls vom Beat getrieben und wird mit Klavier garniert. Highlight des Songs ist der kraftvolle Refrain, bei dem man nur ein Wort im Sinn haben kann: Adele. Es ist ein Vergleich, an den man auch bei den anderen Stücken immer mal wieder denken muss.

Black Parade merkt man hingegen an, dass Gin Wigmore während der Aufnahmen zu Blood To Bone viel Portishead gehört hat (ebenso wie, nach eigenen Angaben: Woodkid, Irma Thomas und Mos Def), und so gibt es reichlich Streicher-Opulenz und Kirchenglocken-Dramatik, die auch Lana Del Rey so liebt. Es braucht schon eine sehr besondere Stimme, um bei einem solchen Ausmaß an Pathos gegenhalten zu können, aber so eine Stimme hat Gin Wigmore glücklicherweise.

Im Refrain der Ballade This Old Heart präsentiert sie sogar erstmals eine neue Facette davon, nämlich Falsett-Gesang. Im Rausschmeißer I Will Love You gibt es den noch einmal, nur vom Klavier begleitet singt die 28-Jährige da eine Liebeserklärung ohne die winzigste Hintertür. „Give me a lifetime and then 50 more / to find the words I can never explain“, heißt es, später dann: „If you die before I do / I know that heartache will kill me too.“

Es ist ein wunderbarer Schlusspunkt für eine Platte, deren Mut sich ausgezahlt hat. Für Gin Wigmore hat sie genau die Türen geöffnet, die sie sich erhofft hatte. „Ich weiß gar nicht so genau, wie’s für mich weitergeht. Was ich jedoch weiß, ist, dass ich genau dieses Album an genau diesem Punkt in meinem Leben machen musste“, sagt sie. „Es musste einfach raus, damit ich das nächste Kapitel meines Lebens in Angriff nehmen kann. Ich weiß jetzt, dass ich für alles bereit bin, worauf ich mich eingelassen habe – und das gibt mir ein gutes Gefühl.“

Streng akustisch: Gin Wigmore singt Written In The Water.

Homepage von Gin Wigmore.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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