Künstler | Gloria | |
Album | Geister | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Vielleicht kennt noch jemand die Hansen Band. Da gab es sehr gestandene Musiker (von Kettcar und Tomte) und einen Sänger (Jürgen Vogel), den man aus ganz anderem Kontext kannte (Kino) und dem man die Sache mit dem Frontmann nicht so recht zugetraut hätte. Dann machte die Hansen Band ein sehr schönes Album namens Keine Lieder über Liebe und verschwand wieder.
Band und Album waren damals nur für den gleichnamigen Kinofilm entstanden, und die Einmaligkeit dieses Zusammenfindens erhöhte natürlich den Reiz der Sache. Trotzdem hat man diese Lieder schnell so sehr ins Herz geschlossen, dass man sich zumindest fragen konnte: Wäre ein zweites Album der Hansen Band wünschenswert gewesen? Oder hätte es die Coolness des ganzen Projekts zerstört?
Die Antwort gibt es nun von Gloria. Auch hier trifft ein sehr gestandener Musiker (Mark Tavassol, einst Gitarrist von Wir sind Helden) auf einen Sänger (Klaas Heufer-Umlauf), den man aus ganz anderem Kontext kannte (Moderator) und dem man die Sache mit dem Frontmann noch viel weniger zugetraut hatte. Mit Gloria hatten sie 2013 ein mehr als respektables Debüt vorgelegt. Nun ist der Nachfolger Geister da und liefert ein paar erstaunliche Erkenntnisse.
Zunächst ist das die Wahrnehmung von Klaas Heufer-Umlauf. Man hört Geister nicht mehr mit der Frage im Kopf, ob er überhaupt singen kann, wie das noch beim Debüt der Fall war, und wie es auch sein gelegentliches Unwohlsein bei den ersten Live-Shows von Gloria nahezulegen schien. Er ist diesmal sofort eine Autorität als Sänger. Mehr noch: Auch das Voranschreiten seiner TV-Karriere sorgt dafür, dass man eine neue Perspektive auf Gloria gewinnen kann. Denn er ist mittlerweile eindeutig derjenige bei Joko & Klaas, dem man Ernsthaftigkeit zutraut.
In der Tat klingen die neuen Songs erstaunlich sensibel, beinahe ein bisschen ängstlich und müde. „Wir liefern etwas, in dem man sich aufhalten kann. Ein Lied soll einem das Gefühl geben, für seine Dauer ganz darin eintauchen zu können. So etwas wollen wir den Leuten bringen“, sagt Klaas Heufer-Umlauf, und ein derart aufrichtiges Zitat könnte man sich im Pro7-Umfeld natürlich niemals von ihm vorstellen. Es greift sicher zu kurz, diese Band als das Entmüdungsbecken von Circus Halligalli oder Mein bester Feind zu begreifen. Aber eindeutig geht es hier um Kopfnicken und Runterkommen statt um Kopfschütteln (angesichts gerne einmal geschmackloser Provokationen) und Raufkraxeln (angesichts halsbrecherischer Mutproben).
Der Titelsong entwickelt im Refrain einen ordentlichen Drive, Ohne Träume wird sogar tanzbar. Ansonsten ist Geister aber überaus sanft. Schwaches Gift punktet mit sehr eleganten Bläsern, Der Pilot, das vom schleichenden Verschwinden der Begeisterung und Leidenschaft erzählt, hat sehr hübsche Streicher zu bieten. Kreis setzt zweieinhalb Minuten lang nur auf Gitarre und Gesang (noch ein Beleg für das neue Selbstvertrauen in der Stimme von Klaas) und hat eine sehr erfreuliche Botschaft: Die wirklichen Freaks sind die, die freiwillig mit dem Strom schwimmen.
Zu den Qualitäten von Geister gehört allerdings eindeutig, dass man die Themen der Lieder nicht immer einfach benennen kann, selbst dann, wenn Gloria auf vergleichsweise Plakatives wie „Alles greift nach dir und deinem Leben“ (Neu beginnen) oder „Leben ist das, was passiert, wenn du woanders so beschäftigt bist“ (Das, was passiert) setzen. Stolpersteine mit seinem sehr kreativen Bass ist das beste Beispiel dafür. Wenn der Song nicht Stolpersteine hieße, käme man nicht auf die Idee, dass es hier um Judenverfolgung geht. Aber da man es weiß, sorgt das Lied für Gänsehaut. Gloria verkneifen sich den erhobenen Zeigefinger und erzählen, auch in den übrigen Songs, viel lieber in Bildern und Andeutungen statt in Biografien und Fakten.
Kampf und Kapitulation, Flucht und Entkommen sind wichtige Themen auf dieser Platte. Vor allem aber: Selbsterkenntnis und Selbsttäuschung. Das klingt in Heilige und Hunde sehr deutlich an, einem Lied über Gehorsam und Ignoranz, samt der Warnung „Keiner verdient, was er bekommt.“ Das sehr spannende Haut („Es wäre Zeit für ein Gebet, doch du kannst gut damit leben, dass es nur die Menschen gibt“) stellt womöglich fest, dass Gott auch nicht hilft bei der Suche nach Identität und Orientierung, und dass man das auch keinesfalls bedauernswert finden muss.
Ein Rätsel bleibt auch der Versuch, Gloria musikalisch zu verorten. Die Lieder auf Geister sind kein richtiger Rock (dafür sind sie viel zu wenig krachig), kein Pop (dafür sind sie nicht anbiedernd genug), keine Storyteller-Songs (dafür sind die Texte zu kryptisch) und auch kein Singer-Songwriter-Material (dafür ist zu wenig Ego zu erkennen). Es gibt wenig Vergleichbares in der deutschen Musik, das gilt für den Sound (wo man vielleicht noch Kid Kopphausen oder eine tiefenentspannte Variante von Kettcar anführen könnte), aber mehr noch für die Texte. Selig? Clueso? Olli Schulz? Das passt alles allenfalls ein bisschen.
Wahrscheinlich bedeutet das: Gloria sind ziemlich einmalig. Und deshalb ist es sehr schön, dass es nun auch ein zweites Album von ihnen gibt. Und danach hoffentlich noch weitere.
Elegant und rätselhaft ist auch das Video zu Geister.
Die Tourdaten von Gloria für den Herbst.
01.10.15 Bremen Lagerhaus
02.10.15 Erfurt, Stadtgarten
03.10.15 München, Strøm
04.10.15 A-Wien, Chaya Fuera
09.10.15 Köln, Gloria
10.10.15 Hannover, Pavillion
11.10.15 Stuttgart, Wizeman
16.10.15 Essen, Weststadthalle
17.10.15 Frankfurt, Sankt Peter
18.10.15 Berlin, Astra
23.10.15 Münster, Skaters Palace
24.10.15 Hamburg, Grünspan
12.11.15 Rostock, Stadtpalast
13.11.15 Leipzig, Werk2
14.11.15 Magdeburg, Moritzhof