Goldfrapp – „Tales Of Us“

Künstler*in Goldfrapp

Von Goldfrapp gibt es diesmal düsteren Folk statt Disco-Füller.
Von Goldfrapp gibt es diesmal düsteren Folk statt Disco-Füller.
Album Tales Of Us
Label Mute
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

„Electronica“ heißt das Genre, das iTunes für dieses Album anzeigt. Nach wie vor sind es auch in erster Linie Tanzflächenfüller wie Strict Machine oder Ooh La La, die man mit Goldfrapp assoziiert. Hört man Tales Of Us, dann ist das im höchsten Maße erstaunlich. Denn von Elektronik oder gar Disco ist auf dem sechsten Studioalbum von Alison Goldfrapp und Will Gregory kaum noch eine Spur. „I’m drawn more and more to the intimacy and simplicity of the voice and guitar“, erklärt Alison Goldfrapp diesen Wandel im Sound.

Thea ist, bereits nach der Halbzeit von Tales Of Us, der erste und einzige Moment, in dem es so etwas wie einen erkennbaren Beat gibt. Der klingt aber eher nach Varieté oder Science-Fiction-Film als nach Club. Kein Wunder: Der Song handelt davon, dass ein Ehemann und dessen Geliebte den Tod seiner Frau planen. Thea ist damit typisch für düstere Inhalte in Technicolor-Gewand, die es gleich reihenweise auf diesem Album gibt.

„I am interested in horror, psychologically. Not blood and guts. That’s too literal. I like the horror of the mind“, sagt Alison Goldfrapp – die zugleich betont, das diese Faszination nichts mit ihrem privaten Befinden zu tun hat. Im Gegenteil: Dass in ihrem Leben derzeit vieles in Ordnung ist, war die Grundlage für die Ausflüge in die Welt der dunklen Gedanken. “When you’re relaxed and confident you can excavate places you may not have dared go before”, sagt sie. Als Wegweiser dienten dabei Literatur und Kino. Patricia Highsmith war ein wichtiger Einfluss, die Titelfigur im beinahe folkigen Annabel verweist auf den gleichnamigen Roman von Kathleen Winter. Als Begleitung zum Album gibt es zudem fünf Kurzfilme von Lisa Gunning.

Dass es sich dabei um Miniatur-Gruselfilme handeln könnte, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Laurel handelt von einer jungen, zum Scheitern verdammten Schauspielerin und ihrem Freund, der einen Mord auf dem Gewissen hat. Alison Goldfrapp singt diese Geschichte mit einem famosen Zittern in der Stimme, voller Schmerz und Hoffnung und angst und bange (ich weiß: Fachleute sagen einfach „Tremolo“ dazu, aber das klingt nicht so schön).

Das folgende Clay, zugleich der Abschluss von Tales Of Us, ist die Liebesgeschichte zweier Männer, die im Krieg zueinander gefunden haben. “It’s a true story,” erklärt Alison Goldfrapp den Hintergrund. “They became lovers and desperately wanted to meet again after the war but tragically one had died in battle. I read a letter by the man who wrote it on the anniversary of the other’s death, as if he was writing to him. This letter of these two men moved me to tears. It was so visual and sweet and touching and absolutely tragic.” Die musikalische Umsetzung liefert eine akustische Gitarre und Besenschlagzeug, bekommt dank üppiger Streicher aber auch die nötige Dramatik.

“You better run for your life”, warnt die Sängerin am anderen Ende des Albums, im Opener Jo. Man ahnt: Sie ist keine, die Hand an ihre Gegner anlegen würde, aber eine, die womöglich magische Kräfte hat wie Hippolyta, die Dämonen und Sirenen (oder wenigstens Kate Bush) befehligen kann, um uns alle ins Verderben zu schicken. Stranger klingt annähernd wie eine Murder Ballad, mit Akustikgitarre, Streichern und gespenstischem Gesang.

Freilich ist Tales Of Us nicht durchweg blutgetränkt. Das sanfte Drew beispielsweise klingt wie herrlich mondäne Filmmusik (oder wie Portishead unplugged), und wenn Alison Goldfrapp am Ende „lalalalala“ singt, wird klar, dass sie eindeutig eine Traumbesetzung für ein Duett mit Serge Gainsbourg gewesen wäre. Ulla ist mit seinem herrlichen Cello so etwas wie die perfekte akustische Entsprechung von Melancholie, im sehr schön arrangierten Alvar steigern sich Gitarre und Klavier gegenseitig in eine faszinierende Spannung hinein, Simone klingt opulent und erwachsen.

Tales Of Us ist ein gutes Stück weg vom Goldfrapp-Image und noch weiter weg von dem Sound, den man noch immer typischerweise mit Bristol verbindet. Goldfrapp ist damit aber dennoch eine zugleich logische und reizvolle Fortsetzung ihrer Karriere gelungen, und zugleich ein Kunststück, das man sonst nur von den Pet Shop Boys kennt: Sie erreichen mit der Herangehensweise der Elektronik ein Maximum an Eleganz und erstaunliches Maß an emotionaler Tiefe.

Junge oder Mädchen? Das ist auch im Video von Annabel nicht so ganz klar:

httpv://www.youtube.com/watch?v=-Vnk_j1iKMA

Homepage von Goldfrapp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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