Happyness – „Write In“

Künstler Happyness

Write In Happyness Rezension Kritik
Das Cover von „Write In“ hat Jon EE Allan selbst gestaltet.
Album Write In
Label Moshi Moshi
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Wenn ein Lied The Reel Starts Again [Man As Ostrich] heißt, so wie das zweite Stück auf diesem Album, dann könnte man vielleicht eine ziemlich abgedrehte Story erwarten, irgendwo zwischen Paralleluniversen und Kafkas Verwandlung. Bei Happyness gibt es so etwas allerdings nicht. In den Songs des Trios aus London geht es nicht darum, eine Geschichte zu erzählen, sondern die Stimmung eines Moments einzufangen. Oder einen Witz zu erzählen. Das gilt in diesem Fall, es gilt auch sonst meist auf dem am Freitag erscheinenden Write In.

Vielleicht hat der Fokus auf das Bestehende (statt auf die Entwicklung) damit zu tun, dass Happyness sich schon bald neu orientieren müssen, spekuliert Jon EE Allan, der als Gitarrist und Sänger gelten kann, auch wenn alle innerhalb der Band fleißig die Instrumente tauschen: “This record cost us about £500 to make, and that was mainly spent on an 8 track tape recorder and a dehumidifier. We self-produced it in our studio. The building’s being redeveloped at the end of the year, so this is the last record we’ll make there, which feels like the end of a chapter for us”, erzählt er.

Die Idee, dem gewohnten Terrain treu zu bleiben, ist naheliegend. Schließlich hat die Band für ihr 2014 veröffentlichtes Debüt Weird Little Birthday reichlich Lob (und einen NME-Award für die Zeile “I’m wearing Win Butler’s hair / There’s a scalpless singer of a Montreal rock band somewhere”) bekommen. Musikalisch wollten Happyness aber nicht vollständig in vertrauten Gefilden bleiben, sagt Allan: “I’d like to think this record looks outside the little American alt-rock sphere we were looking in on. I think we used to be very afraid of being earnest. And now we’re able to be tender or heartfelt without feeling too guilty about it.” Als Einflüsse für Write In benennt er Roxy Music, Randy Newman, Sonic Youth, Big Star, die Beach Boys und Pierre Cavalli.

Hört man den Album-Auftakt Falling Down, zugleich die erste Single, möchte man gerne einen weiteren Eintrag ergänzen, denn es erklingen ein prominenter Gitarreneffekt, eine Slacker-Stimme und ein trockener, träger Beat: So haben einst die Platten der Dandy Warhols angefangen (mit denen Happyness bereits auf Tour waren). Auch die Lemonheads oder Dinosaur Jr lassen sich auf dem zweiten Album der Londoner gelegentlich heraushören, etwa in Anytime, wenn die dreckige, extreme verzerrte Gitarre von Benji Compston auf den fast niedlichen Gesang von Jon EE Allan trifft.

Die Amerikanität der Referenzen bleibt freilich erhalten: Through Windows ist entspannt, entrückt und klavierlastig – so könnte Ben Folds klingen, wenn er eines Tages zum Pothead werden sollte. Der Schlusspunkt Tunnel Vision On Your Part bietet einen Westcoast-Jangle, der so betörend ist, dass man dabei fast in Trance fallen könnte. Anna, Lisa Calls ist schöner, schnörkelloser Poprock, der auch Ben Kweller gut stehen würde.

Die Fähigkeit, sich diese geografisch fremde Popkultur so glaubhaft einzuverleiben, ist nur eine Stärke von Happyness. Die zweite ist eine Vielseitigkeit, die vom zärtlichen Victor Lazarro’s Heart mit seiner sehr schönen Atmosphäre über das abgedrehte The C Is A B A G bis hin zum nicht direkt forschen, aber doch schwungvollen Bigger Glass Less Full reicht. Im Falle von Uptrend / Style Raids gibt es (fast) die gesamte Bandbreite sogar innerhalb eines Stücks: Der Song ist etwas psychedelisch, am Ende sogar etwas wahnsinnig und, wie die Platte insgesamt, vor allem sehr cool.

Wenn man im Video von Falling Down lange genug wartet, passiert tatsächlich noch etwas.

Happyness beim Tumblr.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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