Künstler | Herbert Grönemeyer | |
Album | Dauernd Jetzt – Extended | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
„Wir freuen uns, dass ihr da seid“, begrüßt Herbert Grönemeyer seine Fans in Hamburg-Altona. „Wir wollen gute Gastgeber sein“, kündigt er an, gefolgt von einem weiteren Versprechen für diesen Abend: „Wir geben alles!“
Natürlich weiß man, dass der knapp 59-Jährige ein höflicher Mensch ist. Trotzdem ist kaum zu glauben, wie klein sich Grönemeyer in den Ansagen dieses Abends im November 2014 macht. Schließlich dürften die Fans mindestens ebenso erfreut sein, den Sänger in einem so intimen Rahmen erleben zu dürfen. Grönemeyer präsentiert mit seiner sechsköpfigen Band erstmals die Songs von Dauernd Jetzt live, vor gerade einmal 300 Zuschauern.
Den Konzertmitschnitt gibt es jetzt als iTunes-Download, außerdem auf DVD und Blu Ray als Teil von Dauernd Jetzt – Extended. Die Neuauflage seines 14. Studioalbums, das mittlerweile Platinstatus in Deutschland, Österreich und der Schweiz erreicht hat, enthält alle 16 Songs der ursprünglichen Deluxe-Edition, dazu ein 48-seitiges Booklet und einen Aufkleber.
Das wird definitiv seine Abnehmer finden, denn an der Treue des Publikums lässt die DVD keinen Zweifel – ebenso wie an Grönemeyers Dankbarkeit dafür. Ebenso echt wirkt die Nervosität der Musiker bei dieser Premiere, die sich allerdings als völlig unbegründet erweist: Fast alles klingt genau wie auf Platte. Das zeigt einerseits, wie fleißig die Band geprobt hat. Es zeigt andererseits auch, wie wenig die Songs auf Dauernd jetzt auf Overdubs angewiesen sind und wie gut sie einfach so funktionieren, als Handarbeit.
In Morgen klingt die Stimme deutlich rauer als in der Studioversion, auch der Sound ist noch organischer als auf Platte, so dass das Lied beinahe ein Rocksong wird. Die subtile Spannung der neuen Single Fang mich an kommt hier noch besser rüber. Unser Land bekommt ein kleines Rockabilly-Intro und ein etwas ausgiebigeres Orgelsolo verpasst. Ich lieb mich durch beginnt Grönemeyer alleine mit Gitarre, der Rest der Band schleicht sich dann wunderbar unauffällig hinein.
Freilich ist Dauernd Jetzt – Extended, ebenso wie das Album, nicht frei von unglücklichen Momenten. Dazu trägt in erster Linie das Setting bei, das wohl Intimität garantieren soll, aber nie den Beigeschmack von ZDF-Fernsehgarten ablegen kann. Grönemeyer spielt in einem bestuhlten Saal, nur direkt vor der Bühne ist ein wenig Platz, um Stehen oder sogar Tanzen zu können. Der Wunsch nach Ekstase scheint allerdings auf den ersten Blick ohnehin nicht allzu ausgeprägt zu sein: Es gibt viele Designerbrillen im Publikum, man hat sich in Schale geworfen für diesen Abend. Die ersten Reihen beim Parteitag der Hamburger CDU sehen sicher nicht viel anders aus. Auf der Bühne trägt man gerne Hüte und Mützen, um irgendein Übereinkommen mit der Tatsache zu finden, dass da nicht mehr allzu viele Haare sind.
Auch Grönemeyer scheint ein bisschen zu leiden unter der geringen Bewegungsfreiheit: Er agiert auf der Bühne, wie auch schon vor einem Vierteljahrhundert, nach wie vor so unbeholfen und zugleich frei wie einer, der diese Popstar-Sache bloß im eigenen Kinderzimmer übt. Die Kamera zeigt viel öfter seine in Falten liegende Stirn als seinen singenden Mund, noch seltener sind Kinn und Hals von Grönemeyer bei den Nahaufnahmen im Bild.
Besonders negativ fällt das ins Gewicht, wenn die Musik schwächelt. Bei Wunderbare Leere geben sich alle Beteiligten hörbar Mühe, daraus einen Stimmungshit zu machen, trotzdem bleibt das Lied etwas verkrampft. So stellt man es sich in Südkalifornien oder Brasilien oder Kenia wohl vor, wenn die verknöcherten Deutschen (die Zeile „stimuliert wie Knäckebrot“ würde gut passen, aber die erklingt erst zwei Lieder später) eine wilde Sause feiern. Bei Ein Stück vom Himmel irritiert das totale Einverständnis mit dem Publikum, das hier erkennbar wird – betont das Lied doch, wie wichtig Individualität und ein eigener Kopf sind.
Wie auf Platte ist Der Löw, um in der Fußballersprache zu bleiben, auch auf dieser DVD ein Totalausfall. Das erschütternd schlechte Lied profitiert kein bisschen davon, wenn Grönemeyer sich dazu mit Pseudo-HipHop-Gesten bewegt und in den Gesichtern der Mitmusiker anscheinend die Frage geschrieben steht: „Was um Himmels Willen hat ihn bloß bei diesem Text geritten?“ Bassist Norbert Hamm deutet ganz am Ende des Lieds mit ausgestrecktem Arm auf Grönemeyer, als wolle er damit sagen: „Es ist seine Schuld!“
Freilich überwiegen die geglückten Momente, zu denen auch die Ansagen gehören. Sie sind so schlau und wohlmeinend und uneitel, dass man Herbert Grönemeyer für keine Peinlichkeit böse sein kann. Und die allermeisten Songs sind natürlich mehr als vorzeigbar: Feuerlicht, mit Gastsängerin Shereena, wirkt unmittelbar nach Der Löw angenehm zurückgenommen. Land unter verströmt eine herbe, schöne Melancholie. Zur Nacht ist einer dieser Songs, der nicht mit Herbert Grönemeyer funktioniert, sondern durch Herbert Grönemeyer. Text, Arrangement, Gesang: Nichts davon wäre von einem anderen Künstler vorstellbar.
Was soll das braucht auch an diesem Abend in Hamburg keine Modernisierung, weil es ein so genialer Song ist. Bleibt alles anders ist der Höhepunkt von Dauernd Jetzt – Extended. Eine phänomenale Energie steckt in diesem Lied, zudem wird es der Moment, in dem auch im Publikum der eine oder andere drauf und dran ist, die Fassung (nicht nur auf die Designerbrille bezogen) zu verlieren.
Auch Mensch gehört in einem sehr überzeugenden neuen Arrangement zu den Glanzstücken. Grönemeyer albert da ein bisschen herum, geht von der Bühne und auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Man erkennt: Malte er früher das Schreckgespenst von Atomkrieg und Neonazis an die Wand, fühlen sich die Fans heute in ihrem Unbehagen angesichts des globalisierungsbedingten Niedergangs der Mittelschicht bei ihm aufgehoben. Die Lieder von Herbert Grönemeyer sind, damals wie heute, Hymnen der (German) Angst.