Künstler | Herbert Grönemeyer | |
DVD | Ö-Tour 88 | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Ö-Tour 88 zeigt Ausschnitte des Konzerts von Herbert Grönemeyer am 29. Juni 1988 in der Kölner Sporthalle. Auf DVD. Es ist „kein High-Tech-Video, aber – wie wir finden – eine schöne Erinnerung an die Ö-Tour 1988“, schreibt Grönemeyer im Booklet. Die Show aufzuzeichnen, sei ein spontaner Entschluss gewesen (obwohl zufälligerweise ein komplettes Filmteam aus England anwesend war), das Live-Dokument kommt ohne Overdubs aus und soll kein Meilenstein sein, sondern Souvenir-Charakter haben.
Das gelingt voll und ganz, und dennoch wünscht man sich an etlichen Stellen, Ö-Tour 88 sei kein Film-, sondern bloß ein Tondokument. Nicht so sehr, weil man anhand dieser Show problemlos die alte „Grönemeyer kann nicht tanzen“-Debatte wieder aufwärmen könnte (nur bei zwei Liedern ist er ohne Instrumente, ausschließlich als Sänger im Einsatz), sondern vielmehr, weil hier schockierend deutlich wird, wie geschmacklos die Achtziger waren. Es gibt (bei einer sechsköpfigen Band) mehr Schulterpolster als Instrumente auf der Bühne, der Schlagzeuger trägt einen Turner-Anzug, gefühlt jedes Lied bekommt ein Saxofon-Solo verpasst. Alles ist voller hässlicher Dreiecke, als sei ein Konzept wie „Ästhetik“ erst Jahre später erfunden worden. Und natürlich gibt es kein einziges Handy im Publikum – dafür leuchten schon beim Intro die Wunderkerzen, und in der ersten Reihe wird eifrig geraucht.
Noch ein paar andere Dinge sind anders als man sie wohl demnächst erleben kann, wenn Grönemeyer mit Dauernd Jetzt auf Tour geht. Er röhrt hier viel öfter als heute, und „Herbie, Herbie“ skandieren seine Fans bestimmt auch nicht mehr. Überraschend Anti-Deutschland ist der Text in Bist du taub – jedenfalls, wenn man ihn mit dem gelegentlichen Patriotismus auf seinem neuen Album vergleicht. Schwer vorstellbar ist heutzutage auch ein Ausmaß an Ekstase, wie es hier bei Tanzen zu sehen ist: Alle sind außer Rand und Band, man muss um die Unversehrtheit seines Tamburins fürchten, ebenso wie um die Knochen der Fans in den vordersten Reihen.
Freilich gibt es auch einige Kontinuitäten – und ein paar gute Argumente, warum man sich Ö-Tour 88 doch anschauen (und nicht bloß anhören) sollte. Am meisten beeindruckt die unverhohlene Begeisterung, bei Grönemeyer selbst, aber viel mehr noch im Publikum. Schon bei Komet, dem ersten Lied, steht ihm die pure Freude ins Gesicht geschrieben. Am Ende von Bochum schnauft er tief durch, als müsse er sich erholen von diesem emotionalen Kraftakt. Flugzeuge im Bauch enthält kein bisschen Routine, aber ganz viel Gänsehaut.
Der Wille, auch musikalisch das Besondere zu bieten, ist hier deutlich zu spüren, und oft gelingt das Grönemeyer und seiner Band auch. Alkohol ist viel aggressiver als auf Platte, am Ende streut er so etwas wie eine Scat-Einlage ein. Mambo klingt wirklich wie ein Karneval, und zwar nicht wie der in Köln, sondern der in Rio.
Zentral bleiben natürlich – vor allem für die Verbindung mit dem Publikum – die Texte. Wie entscheidend sie sind, zeigen auch die zwei Videoclips mit englischen Texten (Airplanes In My Head und Full Moon), mit denen der damals 32-jährige Grönemeyer auf den internationalen Durchbruch gehofft hatte und die es hier (mit den Clips von Was soll das und Bochum) als Bonusmaterial zu dem 66-minütigen Konzertmitschnitt gibt: Das ist zwar putzig, zündet aber nicht.
Die deutschsprachigen Songs sind hingegen ordentlich gealtert. Die Arrangements wirken aus heutiger Sicht zwar angestaubt bis fragwürdig. Aber die Kompositionen an sich und vor allem die Texte sind nichts, wofür man sich ein Vierteljahrhundert später schämen müsste.