Hingehört: Highasakite – „Camp Echo“

Künstler Highasakite

Highasakite Camp Echo Rezension Kritik
Hoch politisch agieren Highasakite auf „Camp Echo“.
Album Camp Echo
Label Propeller Recordings
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Jedes Jahr veröffentlicht die UN den World Happiness Report, und in der Gesamtwertung der vergangenen drei Jahre liegt Norwegen auf Platz 4 von 157 Nationen. Ingrid Helene Håvik scheint irgendjemand nicht davon in Kenntnis gesetzt zu haben, dass sie als Norwegerin gefälligst zufrieden und zuversichtlich zu sein hat. Das Leben von ihr und ihren vier Bandkollegen von Highasakite wird vielmehr von einem ganz anderen Gemütszustand geprägt: Verunsicherung.

Das ist ziemlich genau seit den Anschlägen des 11. September 2001 so, sagt die Sängerin. „Mein Blick auf die Welt ist seit damals alles andere als positiv. Das hat weniger mit Angst oder Wut zu tun als mit dem Gefühl, dass alles irgendwie anders ist”, sagt Håvik. Marte Eberson, der Keyboarder der Band, die mit Camp Echo gerade ihr zweites Album veröffentlicht hat, führt das noch etwas genauer aus: „Als die Angriffe von 9/11 passierten, waren wir noch Teenager. Natürlich waren Krieg und Terror in der Geschichte schon immer präsent, aber damals war ich völlig ahnungslos. Ich wusste nicht, wer oder was Al-Quaida ist, das war alles neu für mich. Ich kann mich noch daran erinnern, als 2003 Saddam Husseins Statue gestürzt wurde, da war ich zuhause und fing an zu weinen. Alles schien in die Brüche zu gehen. Es war sehr merkwürdig, das alles mit anzusehen.”

Es ist dieses Grundgefühl, das aus Camp Echo ein sehr engagiertes Album gemacht hat. Benannt ist die Platte nach einem der sieben Gefangenenlager in Guantanamo Bay. Die Themen sind so etwas wie das Tagebuch einer besorgten Weltbürgerin, als die man Ingrid Helene Håvik wohl guten Gewissens betrachten kann. „Dies ist kein politisches Album in dem Sinne, dass ich Menschen auf die Seite einer bestimmten Partei oder Denkweise ziehen möchte, aber es ist in meinem Leben ein zentrales Anliegen”, sagt sie. „Es gibt auf dem Album kaum Liebeslieder, weil ich schon lange Zeit nicht mehr verliebt gewesen bin. Was mich hauptsächlich beschäftigt, sind die Klimaerwärmung und Kriege.”

Natürlich ist es schön, eine Band zu finden, die so gar nicht dem Klischee einer unpolitischen, desinformierten, oberflächlichen Generation Y entspricht. Erst recht, wenn man bedenkt, dass Highasakite durchaus etwas zu verlieren haben. Ihr Debüt Silent Treatment hielt sich in ihrer norwegischen Heimat 94 Wochen in den Top 40 – das sind, auf deutsche Verhältnisse übertragen – Helene-Fischer-Dimensionen. Nun mit dem Nachfolger explizit auf Agitation zu setzen, ist da durchaus mutig.

Das ist eine Herangehensweise, die sich auch im Klang von Camp Echo widerspiegelt. Es gibt viele stilistische Einflüsse – Highasakite nennen unter anderem The Prodigy und Nine Inch Nails als Bezugspunkte – und darunter auch etliche Sounds, die gewöhnungsbedürftig sind, erst recht in Kombination mit politischen Texten. My Mind Is A Bad Neighborhood beispielsweise wirkt, als hätten Technotronic plötzlich ein Klassenbewusstsein entwickelt. Der Album-Auftakt My Name Is Liar zitiert aus der „War On Terror“-Rede von George W. Bush, führt damit sein Lügenkonstrukt vor und setzt dabei auf Ethno- und Tribal-Elemente.

Wie ambitioniert diese Platte ist, zeigen auch die beträchtlichen Unterschiede zum Debüt. „Als wir das erste Mal Ingrids Demos hörten, war sofort klar, dass wir ganz anders denken und arbeiten mussten als beim letzten Album”, sagt Gitarrist Kristoffer Lo. „Ich glaube, es ist die Art und Weise, wie sich während der Aufnahmen die Synthesizer und das Programmieren der Drums entwickelt haben. Da war es dann irgendwie logisch, dass wir die Gitarren elektronischer als zuvor einsetzen – was dem Ganzen einen Hauch mehr Industrial verliehen hat. Ich finde es gut, dass es sich so sehr von Silent Treatment unterscheidet. Es ist ganz anders.”

Das Problem an Camp Echo ist, dass Highasakite nicht nur manchmal übers Ziel hinausschießen. Die Stimme von Ingrid Helene Håvik bildet zwar ein Bindegleid zwischen den Songs, auch die Produktion von Kåre Christoffer Vestrheim (der schon das Debüt betreut hatte) schafft zumindest in Ansätzen einen runden Sound. Aber oft fehlt dennoch ein Anker für diese Lieder. I Am My Own Disease ist so ein Fall: Da hat sich jemand viele Gedanken um einzelne Sounds gemacht, aber keine Gedanken um die Frage, was überhaupt Kern dieses Songs sein soll.

„Normalerweise kümmert sich eine Person, ein Produzent um alles”, erklärt Schlagzeuger Trond Bersu. „Aber wir haben als geschlossene Band gearbeitet, mit einem Produzenten in einem großartigen Studio. Das ist wirklich ungewöhnlich. Natürlich ist es toll, eine komplette Band an Bord zu haben, bei der jeder mit seinem Instrument die Expertise einbringt, aber es ist auch eine größere Herausforderung. Man muss dann viel mehr Meinungen berücksichtigen und es gibt auch eher Konflikte, doch ich glaube, wir haben einen sehr organischen Sound hinbekommen”, meint er, doch genau dieses Übermaß an Ideen, vielleicht auch das Streben nach Konsens, wo vielleicht ein Alleingang hilfreich gewesen wäre, scheint dem Album insgesamt geschadet zu haben. 
Im schlimmsten Fall kommt etwas dabei heraus wie das doofe Someone Who’ll Get It oder das blasierte Chernobyl. In den besseren Momenten entstehen Lieder wie das kurzweilige Deep Sea Diver oder Samurai Swords, das ein paar HipHop-Gene offenbart und zudem den Wunsch, unbedingt im Oeuvre von Ellie Goulding zu enden.

Auf der Habenseite von Camp Echo steht auch Golden Ticket, das von Gunvor Hofmos Gedichtzeile „Det er ingen hverdag mär“ [deutsch: Es gibt keinen Alltag mehr] inspiriert ist. „Es ist eine sehr bekannte Strophe. Der Song handelt im Wesentlichen von Eskapismus, sowohl von der Flucht vor sich selbst als auch aus dieser Welt. Im Grunde genommen handelt er vom high werden und alles um sich herum vergessen”, sagt Håvik, und die Band packt diesen Gedanken in ein höchst plakatives und wirkungsvolles Eighties-Klanggewand.

Das Highlight des Albums ist allerdings God Don’t Leave Me, ein Lied, das nichts weniger nachgeht als der Frage, ob es einen Gott gibt und wenn ja wozu er gut ist (und wenn nein: warum es so viele Menschen trotzdem gerne glauben wollen). „Dahinter steckt die Idee, dass jeder an Gott glaubt, wenn er nur entsprechend verängstigt oder verzweifelt ist“, sagt Ingrid Helene Håvik. Auch hier findet sie einen politischen Aspekt: Ihr eigenes Ringen um den Glauben kombiniert sie mit Erkenntnissen zu posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kriegsveteranen. Dass das beste Lied der Platte aber eine vergleichsweise konventionelle Ballade ist, die von viel Gefühl und einem sehr wirkungsvollen zweistimmigen Gesang lebt, ist bezeichnen: Zu oft haben Highasakite auf Camp Echo zu viele gute Ideen und zu wenig Blick damit, was sie damit eigentlich anfangen wollen.

Highasakite spielen Golden Ticket fürs norwegische Fernsehen.

Website von Highasakite.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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