Künstler | James | |
Album | Girl At The End Of The World | |
Label | Infectious | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
“They could be Coldplay from a parallel universe”, hat der Evening Standard vor gar nicht allzu langer Zeit über James geschrieben. Hierzulande wird man sich darüber vielleicht wundern. Mit dem Hit Sit Down war das (derzeit) Septett aus Manchester zwar 1991 sieben Wochen lang in den deutschen Charts vertreten, aber danach war es ziemlich leicht, James wieder zu vergessen. Sie in die Nähe einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Bands der vergangenen 20 Jahre zu rücken, wäre in Deutschland jedenfalls kaum jemandem in den Sinn gekommen. Kein einziges Album von James schaffte es bei uns in die Charts, nicht Seven (1992), das im UK bis auf Platz 2 kam, nicht Laid (1993), das Goldstatus im UK und in den USA erreichte, auch nicht das 1998 erschienene Best Of.
In ihrer englischen Heimat ist das anders. James sind dort eine der großen Konstanten des Manchester-Sounds. Sie haben weltweit über 13 Millionen Alben verkauft, spätere Superstars wie Nirvana, Radiohead und auch Coldplay haben einst in ihrem Vorprogramm gespielt. Sie schlugen zwar keine großen Wellen mehr, aber ähnlich wie beispielsweise die Charlatans waren sie nie ganz schlecht, nie ganz weg und vor allem von Mitmusikern sehr geschätzt. Alle Alben von James seit Gold Mother (1990) erreichten im UK die Top 20 der Charts.
Mit dem gerade erschienenen Girl At The End Of The World, ihrem 14. Album im 33. Jahr ihres Bestehens, untermauern James ihren Status als verdiente, weiterhin ambitionierte Veteranen. Die Platte zeigt das zum einen mit der Fähigkeit, den eigenen Sound zu modernisieren, ohne die Verbindungsstränge zu dem zu kappen, was man einst Rave und Baggy nannte. Zum anderen bietet Girl At The End Of The World eine erstaunliche Vielfalt, die ebenfalls Beleg dafür ist, dass James keine Lust darauf haben, sich mit einem einzigen Sound zufrieden zu geben.
Der sehr gute Surfer’s Song scheint sich nachträglich für den Trainspotting-Soundtrack bewerben zu wollen, Feet Of Clay überzeugt als rein analoge Ballade, Alvin beginnt mit französischen Textzeilen. Dear John ist nicht weit weg von Erasure, Nothing But Love setzt hingegen auf Bläser und Schunkeltempo. Attention arbeitet mit einem prominenten Klavier, einer effektvollen zweiten Stimme und zwischendurch mit einem Riff, das verdächtig nach Rammsteins Amerika klingt. Move Down South zeigt, wie viel Bands wie The Big Pink oder die White Lies (deren Produzent Max Dingel hat übrigens auch Girl At The End Of The World betreut) von James übernommen haben.
“Bands talk about that difficult second album but it’s the trickster 14th one that’s the real M*&^%R F&%$#R”, scherzt Sänger Tim Booth, und liefert dann eine kleine Entstehungsgeschichte der Platte mit: “As always with James it’s a collaborative process allowing ample room for improvisation, intuition, skill and dumb luck. From the outside our process looks like chaos but chaos is our friend and we have a history that gives us confidence that something magical will eventually appear. Most of my best lyrics are unconscious typos so don’t ask me what it’s about; your projection is as good as mine. This was perhaps the most difficult and stressful album we have ever made. I hope you find it as rewarding as we do.”
Es fällt nicht schwer, dieses „lohnend“ zu empfinden. Girl At The End Of The World hat viele Ideen und ausreichend Power. Allerdings fällt auch auf: Zwei, drei der schwächeren Momente wegzulassen, hätte diesem Album gut getan. Gerade, wenn James besonders spektakulär sein wollen, wirken sie hier oft ein wenig gestrig, in Songs wie Catapult mit seinem zahmen Beat springt einfach kein Funke über. Bei aller Wertschätzung für das Gesamtwerk der Mancunians muss man auch attestieren: Eine neue Band würde mit so viel okay, solide und anständig kaum reüssieren können.
Dass James noch immer Biss haben, deutet ihr 14. Album aber immerhin an. Im Opener Bitch sorgt der Text für Gift und Galle, begleitet von einem New-Order-Bass und einem monotonen Beat. In To My Surprise gaukelt die Musik Banalität vor, während Tim Booth im Refrain mit einer Stimme, die überraschend nahe an Brandon Flowers ist, die unverblümte Frage stellt: „Were you just born an asshole?“
Zu den feurigen Momenten gehört auch Waking, das etwas Punk-Ästhetik erkennen lässt, die sehr schön mit dem zurückgenommenen Refrain kontrastiert. Und nicht zuletzt auch der sehr gute Titelsong als Abschluss der Platte: Girl At The End Of The World hat eine Unbedingtheit, die dem Rest des Albums manchmal fehlt.