Hingehört: James Gruntz – „Belvedere“

Künstler James Gruntz

Cover des Albums Belvedere von James Gruntz bei Bakara Music
„Postpop“ nennt James Gruntz die Musik auf „Belvedere“.
Album Belvedere
Label Bakara Music
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Schon vor einem Jahr ist Belvedere in der Schweiz erschienen, der Heimat von James Gruntz. Jetzt kommt die Platte auch in Deutschland raus. Beides sind wichtige Informationen zu diesem Album, denn der 28-Jährige, der in Bern geboren ist, in Biel und Basel aufwuchs und in Zürich studierte, pflegt ein durchaus hohes Maß an Identifikation mit seinem Land. Die Zeile „Everywhere else is better, but nowhere is as good as here“ aus dem Titelsong Belvedere bezieht er beispielsweise auf seine Heimat. Und er hätte kein Problem damit, wenn seine Musik auch international wahrgenommen würde, am liebsten als „Referenz für Musik aus der Schweiz“, wie er unlängst in einem Interview betont hat.

Sucht man etwas spezifisch Schweizerisches an dieser Platte, findet man allerdings allenfalls eine Abneigung gegen Extreme. Der Rest ist international kompatibler Singer-Songwriter-Pop, der zwischen allzu gefällig und ziemlich gut gemacht changiert und von der höchst angenehmen Stimme des 28-Jährigen profitiert. Zuhause hat James Gruntz (der eigentlich Jonas heißt) seit seinem Debüt im Jahr 2005 schon ein paar Preise gewonnen mit dieser Musik, die er gerne als „Postpop“ (Definition: „Das ist Pop mit einmal drüber schlafen.“) bezeichnet. Belvedere lässt keinen Zweifel daran, dass sich vor allem im Radio auch hierzulande ein dankbares Publikum für diese Lieder finden sollte. Wer beispielsweise Martin And James oder Milow mag, sollte hier dringend mal reinhören.

Was verwirrt, ist allerdings das Qualitätsgefälle des Albums. Trying To Break Your Heart beispielsweise hat ein sanft-zurückhaltendes Retro-Soul-Flair à la Charles & Eddie, erweist sich aber als viel zu langweilig, um eine Spielzeit von mehr als sechs Minuten zu rechtfertigen. Schade ist auch, dass Schlagzeug und Bass so leise im Mix versteckt sind, denn beide haben in diesem Lied Einiges zu bieten. Always Never wirkt wie eine lahme Version von Jamiroquai und zudem äußerst blutleer für einen Song, der unter anderem behauptet: „Every one of my bones is demanding your presence.“ Am Anfang von City Lights steht die Andeutung einer Beatbox, dann fällt der Spannungsbogen aber deutlich ab, erst zu „mellow“ und dann zu „belanglos“. Freight Train hat zwar einen ordentlichen Text, die Musik bleibt aber Gesäusel, obwohl sie wohl gerne sinnlich sein will.

Dem stehen, vor allem zu Beginn des Albums, aber sehr brauchbare, manchmal sogar spannende Stücke gegenüber. Dark Side Of The Moon ist erstaunlich intim und zurückhaltend für jemanden, der nicht nur wegen seines Namens schon mit James Blunt verglichen wurde. Belvedere besteht nur aus Gesang und Klavier – diese beiden Fächer hat James Gruntz an der Zürcher Jazzschule studiert, mit Master-Abschluss. Der Song hat aber nichts Akademisches, sondern lässt eher an Ryan Adams denken. In Zeilen wie „My head’s been set on fire“ stecken jedenfalls eine Leidenschaft und eine Verzweiflung, die man ihm abnimmt. Die Single Heart Keeps Dancing ist ein gutes Beispiel für den reizvollen Widerstreit zwischen Schwung und Wohlklang, der sich auf diesem Album wiederholt beobachten lässt: Vor allem die Hi-hat ist sehr engagiert (als Kind wollte James Gruntz immer gerne Schlagzeug spielen), das Lied bleibt trotzdem sanft.

Das gewagte 20 Tons Of Steel, das so reduziert ist, dass es beim leisesten Hauch auseinander zu fallen droht, und der Auftakt Countless Roads könnten gar als experimentell durchgehen. Den Opener trägt James Gruntz acappella vor, seine Stimme wird dabei ein paar Mal vervielfältigt und verfremdet – aber auch der Vocoder-Effekt kann nicht diese sehr reizvolle Wärme aus dem Gesang nehmen.

Ganz am Schluss von Belvedere gibt es eine Blue Suede Shoes-Anspielung. „One for the trouble, two for the sorrow, three to get rid of them all“, singt James Gruntz da in One For The Trouble. Dass er die Sache mit der „show“ und dem „go, cat, go“ dabei ersetzt hat, ist gar nicht schlimm. Ein bisschen mehr Trouble könnte aber genau das richtige Rezept sein, um mit dem nächsten Album einen richtig starken Eindruck zu hinterlassen – in der Schweiz oder sonstwo.

Von oben nach unten entfaltet sich das Video zu Heart Keeps Dancing.

Homepage von James Gruntz.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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