Künstler | Jamie Lenman | |
Album | Devolver | |
Label | Big Scary Monsters | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Dieser Name passt einfach nicht. Er klingt ein bisschen wie Jens Lehmann, der immer wie ein scheues Reh wirkt, sobald er seine Torwarthandschuhe abgelegt hat. Er darf nicht einmal „James“ sein, oder „Jimmy“, sondern die denkbar süßeste Verharmlosung. Dass es Jamie Lenman aber trotz seines Namens faustdick hinter den Ohren hat, ist unverkennbar. Der 34-Jährige ist mit einer Burlesque-Tänzerin verheiratet, war als Frontmann von Reuben ein prägender Faktor der britischen Post-Hardcore-Szene zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts und legte dann 2013 das Solodebüt Muscle Memory vor, als Doppelalbum mit einer seltsamen Mischung aus Country und Thrash Metal. Danach ging er auf Tour mit einem Bläser-Trio, zwischendurch ließ er die Musik immer wieder völlig links liegen und ging seiner zweiten Leidenschaft nach, der Arbeit als Grafiker und Illustrator, unter anderem für den Guardian.
Jetzt gibt es mit Devolver ein zweites Soloalbum und angesichts seiner Vorgeschichte sollte klar sein: Erwartungen sollte man an diese Platte am besten gar nicht haben. In der Tat zeigt Jamie Lenman auch hier durchweg, wie originell und abwechslungsreich seine Musik ist. Gleichzeitig hat er sich allerdings vorgenommen, im Vergleich zu Muscle Memory etwas konziser zu werden. „Ich wollte unbedingt ein kürzeres und prägnanteres Album, mit vielen digitalen Soundelementen und tanzbaren Rhythmen schreiben. Wie die beiden Singles Waterloo Teeth und Mississippi bereits zeigen, ist es mir sehr wichtig, dass Riffs und Melodien auf allen Ebenen miteinander harmonieren. Ich habe einen Beat und darum baut sich dann der Rest des Songs auf. Da ich selber Schlagzeuger bin, ist das für mich die natürlichste Art, einen Song zu schreiben. Immer wieder gibt es Momente auf dem Album, wo der Beat für sich steht. Ich find’s ziemlich gut, den Percussions diesen Freiraum zu geben, damit der Track eine Weile im eigenen Saft schmoren kann“, sagt er.
Die besagten Singles zeigen, wie herausragend das funktioniert: Waterloo Teeth kombiniert ein starkes Riff mit einem originellen Takt, Mississippi will an der Oberfläche in erster Linie hart sein, trotzdem merkt man, wie klug es konstruiert ist. Diese Kombination trifft man auf Devolver, das von Space (The Prodigy, Idles) produziert wurde, sehr häufig an: Hell In A Fast Car ist ursprünglich und trotzdem innovativ, im extrem spannenden Opener Hardbeat merkt man, wie sich der Track zurückhalten muss, weil viel mehr Aggressivität darin steckt als er zum Vorschein kommen lässt, bevor sich dann nach gut zwei Minuten doch noch die Drums austoben dürfen.
I Don’t Know Anything ist so etwas wie der Popmoment des Albums und würde mit gutem Groove, Streichern und Harmoniegesang auch zu Jamie Lenmans gutem Freund Frank Turner passen, All Of England Is A City hat viel Feuer, der Titelsong beschließt die Platte als Ballade, die am Ende doch noch recht muskulös wird. Wenn die Foo Fighters noch Wut im Bauch hätten, könnten sie Lieder machen wie Personal, das mit jeder Sekunde besser und leidenschaftlicher wird, kulminierend im Schlachtruf „This time it’s personal“. Das vergleichsweise theatralische Bones klingt, als habe Chris Cornell als Sänger bei Muse angeheuert.
„Auf Devolver habe ich einiges riskiert. In jedem Song gibt es etwas, das ich zuvor noch nie ausprobiert habe, sei es die Struktur des Songs, die Instrumentierung oder aber die Performance. Ziemlich oft bin ich beim Schreibprozess an einen Punkt gestoßen, an dem ich bereits erahnen konnte, in welche Richtung der Song gehen würde und habe mich dann bewusst für die andere Richtung entschieden, um etwas völlig anderes zu erschaffen“, sagt Jamie Lenman. Das Ergebnis ist so einzigartig, irritierend, faszinierend, mutig und kreativ wie seine Frisur – und das will bei diesem Mann etwas heißen.