Künstler | Jeden Tag Silvester | |
Album | Geisterjägerstadt | |
Label | Chef Records Ratekau | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
„Mit den richtigen Leuten um dich ist alles perfekt“, singen Jeden Tag Silvester im letzten Lied dieser Platte. Diese eine Zeile verweist auf die beiden wichtigsten Eigenschaften von Geisterjägerstadt, dem zweiten Album des 2010 gegründeten Quartetts aus Bad Oldesloe.
Erstens: Bertram Ulrich (Gesang, Klavier), Niclas Jawinsky (Gitarre, Gesang), Till Krohn (Bass, Gesang) und Tom Rieken (Schlagzeug) sind bestimmt nette Kerle und korrekte Typen mit brauchbarem Musikgeschmack (in einem Song zitieren sie Travis, als Vorbilder werden Coldplay und die Killers aufgeführt). Sie wissen, wie wertvoll Gemeinschaft ist, wie schön eine Party sein kann, wie viele Widrigkeiten da draußen in der Welt warten und wie viel Glück es bereiten kann, diese Kacke, umringt von „den richtigen Leuten“, mal für einen Nachmittag im Park, ein Frühstück bei Freunden oder eine Nacht beim Festival ausblenden zu können.
Zweitens: Der Reflex, diesen Widrigkeiten zu entfliehen und sich ins traute Heim, die Geborgenheit des eigenen Freundeskreises oder notfalls auch die Zuverlässigkeit der eigenen Filterblase zurückzuziehen, ist leider bei vielen aktuellen Deutschpop-Künstlern sehr ausgeprägt, und auch Jeden Tag Silvester erliegen ihm. Statt die Dinge, die nicht perfekt sind, verändern zu wollen, geht man ihnen lieber aus dem Weg. Die Band, die schon im Vorprogramm von Silbermond, Mark Forster und Johannes Oerding gespielt und 2015 am Bundesvision Songcontest teilgenommen hat, meidet Konfrontation und Provokation, und deshalb klingt Geisterjägerstadt über weite Strecken hohl, anbiedernd und belanglos.
Es gibt im schlimmsten Fall peinliche Songs wie Du hörst mich nicht, das am deutlichsten zeigt, wie schwer es dieser Band fällt, Texte mit Substanz oder gar Poesie zu schreiben. Zuhause wird eine keineswegs kitschfreie Liebeserklärung, Schwerelos ist elektronisch geprägt, rückt dadurch aber nicht in Richtung Club, sondern leider in Richtung Schlager.
Handwerklich (ein Wort, bei dem immer Vorsicht geboten ist), ist vieles auf Geisterjägerstadt mindestens okay. Das Album wurde produziert von Sven Bünger, der auch bei zwei Songs mitkomponiert hat. Der Sound ist sehr auf die Stimme von Bertram Ulrich zugeschnitten, die allerdings nicht so besonders ist, wie es diese Fokussierung glauben machen will. Es gibt reichlich von den unvermeidlichen „ohoho“-Chören, auch an anderen Stellen finden sich deutlich zu oft Parallelen zu Revolverheld. Später drüber lachen ist ein typisches Lied, das zwei weitere beliebte Stilmittel dieser Platte zeigt: Ghostnotes auf der Gitarre und die Wir-Perspektive in den Texten.
Jeden Tag Silvester bekommen damit zumindest gelegentlich gelungene Momente hin wie Die letzte Meile. Auch der Titelsong ist passabel. „Wo so viele Schatten sind / ist ganz bestimmt irgendwo auch Licht“, heißt es in Geisterjägerstadt – das kann beinahe als Motto für Jeden Tag Silvester gelten, denn neben seiner Gewöhnlichkeit weist das Lied immerhin auch eine gute Melodie, eine gute Struktur und einen brauchbaren Text auf, es geht um Zusammenhalt und das Gefühl, trotzdem ein Außenseiter zu sein.
Zumindest gelegentlich weichen Jeden Tag Silvester auch von dem ab, was Durchschnitt und Kalkül ist. Dann tun sie nicht das Erwartete und verweigern sich zum Glück auch etliche Male dem Nächstliegenden. Der Album-Beginn Wir lassen los ist ein Beispiel dafür: Für einen Auftaktsong ist das sehr dezent, man erwartet jeden Moment das Einsetzen des bombastischen Schlagzeugs, das daraus einen Radiohit machen könnte, aber dieser Einsatz bleibt aus, auch als der Song am Ende etwas mehr Drive entwickelt. In Der Mensch wird die Band sogar tatsächlich politisch und sozialkritisch, mehr noch: Das Lied liest seinem Publikum die Leviten und Sänger Bertram Ulrich nimmt sich selbst aus dieser Anklage keinesfalls heraus. „Der Mensch ist zu faul, zu blöd und zu bequem“, heißt es da. Leider stimmt das, und leider haben Jeden Tag Silvester ihre Musik größtenteils an diese Attitüde angepasst.