Künstler | Jeff Beadle | |
Album | Where Did We Get Lost | |
Label | Butterfly Collectors | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Ich möchte natürlich niemanden ausschließen, aber der Beginn dieses Textes richtet sich an einer ganz spezielle Gruppe in meiner geschätzten Leserschaft. Mit einer Warnung. Es geht um die Gruppe von Leuten, die ein Haus besitzen. In Toronto. Mit einem Swimming Pool. Und gelegentlich einen Poolboy anheuern, um das Schwimmbecken in Schuss zu halten. Achtung: Wenn Sie das nächste Mal eine solche Reinigung in Auftrag geben, behalten Sie den Poolboy lieber genau im Auge. Denn es könnte sein, dass er gar nicht mit Kärcher, Chlor und Kescher (oder war man als Poolboy sonst so für Werkzeug benutzt) malocht, sondern heimlich Songs schreibt. Zumindest, wenn es sich dabei um Jeff Beadle handelt.
Der Kanadier, der gestern sein neues Album Where Did We Get Lost veröffentlich hat, ist gerade auf einer ausgiebigen Europa-Tournee, arbeitet ansonsten aber tatsächlich als Pool-Reiniger in Toronto. Weil er dabei stundenlang allein ist und kaum Ablenkung hat, fing er an, während der Arbeit Ideen für Texte oder Melodien zu entwickeln und sie mit seinem Handy aufzuzeichnen. Zuhause werden diese Skizzen weiterentwickelt, ein erstes Feedback bekommt Jeff Beadle meist, wenn er Leute zum Abendessen bekocht (seine Einladungen als „Chef Jeff“ sind legendär), dann zur Gitarre greift und seine neuen Lieder vorstellt.
Entsprechend intim klingt diese Platte. Wie schon auf dem Vorgänger The Huntings End gibt es fast nur Gesang und eine akustische Gitarre, gelegentlich darf sich eine Mundharmonika oder etwas Pedal-Steel-Sound hinzugesellen, ansonsten ist Where Did We Get Lost praktisch Singer-Songwriter-Musik wie aus dem Lehrbuch.
Mit seiner (immer wieder an Cat Stevens gemahnenden) Stimme und vor allem seinen Melodien hat Jeff Beadle genug Mittel an der Hand, um das Ganze nicht eintönig werden zu lassen. Erstaunlich ist allerdings, wie sehr sein Schaffen als Musiker sich offenbar von seiner Wahrnehmung des Lebens unterscheidet. Als Autor (jawohl, von diesem Wortstamm rührt beispielsweise auch der Begriff „Autorität“) seiner Songs ist er höchst souverän, im Alltag scheint er weit davon entfernt zu sein, die Fäden in der Hand zu haben.
The One heißt das erste Lied der Platte. Der Text behauptet allerdings nicht etwa „I am the one“, sondern „I want to be the one.“ Später heißt es nicht “I do it my way”, sondern “I want to do it my way”, und man weiß, dass dabei von einem noch nicht umgesetzten Plan die Rede ist. Jeff Beadle singt auf Where Did We Get Lost immer wieder aus der Perspektive des Defizits heraus. Irgendetwas oder irgendjemand fehlt immer, stets klafft eine Lücke zwischen der angestrebten Comfort Zone und der realen Umgebung, nie ist er sich selbst genug, „I don’t want to disappoint the people that I love“, heißt eine weitere Zeile im Opener, die das unterstreicht.
„I’ll bring the sad songs / if you come tonight / and I need my woman / to keep me warm after the nightmares“, heißt es in 1st of July, auch in How Calmly wird der Albtraum zur Metapher für das Leben. Die Vergänglichkeit des Glücks und der Jugend steht im Titelsong im Zentrum, The Hardest Part handelt von einer ungeduldig erwarteten Heimkehr und der Ahnung, dass vielleicht bald schon wieder ein Abschied droht. Nirgends wirkt Jeff Beadle wie ein Mann, der dem Leben gewachsen ist. Und wenn er, wie in Lost Living, dann doch einmal singt “I could stand my ground”, dann hängt er sogleich ein “But I’d rather be lost” an.
Natürlich ist Introspektion nicht nur beliebt im Singer-Songwriter-Genre, sondern wahrscheinlich sogar Voraussetzung für den Gedanken, man habe der Welt etwas ganz Besonderes zu sagen. Jeff Beadle gefällt sich auf Where Did We Get Lost aber ein bisschen zu sehr als Leidensmann. „My baby, she don’t love me anymore“, heißt beispielsweise die Ausgangssituation in Single Mothers, Single Fathers. Das wurde schon tausendfach besungen, und Jeff Beadle schafft es, viel Gefühl in diesen Song zu legen und zunächst auch so etwas wie Mitgefühl einfordern zu können. Auf Dauer ist er als Heulsuse aber schlicht ein bisschen langweilig bis nervig, in diesem Song und auf dem Album insgesamt. Spätestens beim dritten Hören von Where Did We Get Lost möchte man ihm ein beherztes „Get your shit together!“ zurufen.
Dazu trägt nicht nur die sparsame Instrumentierung bei, sondern auch die Tatsache, dass die Auslöser für das notorische Wehklagen keineswegs nur schlimme Tragödien im wirklichen Leben des Kanadiers sind. Jeff Beadle hat nicht nur Angst vor der Welt, sondern auch vor vielem, das gar nicht da ist (als würde er sonst befürchten, sich nicht mehr genug fürchten zu können): Geister, Erinnerungen, Träume – sie alle suchen ihn hier viel öfter heim als die wirklichen Härten des mitunter wirklich brutalen Lebens.
Nicht zuletzt ist es ein Nachteil für diese Platte, dass er (im Gegensatz zu anderen Sensibelchen wie beispielsweise William Fitzsimmons) seine Empfindsamkeit nicht als Werkzeug zur Wahrnehmung der Welt und der Menschen nutzt, sondern diese Empfindsamkeit selbst zum Thema seiner Lieder macht, und zwar zum einzigen. „It doesn’t matter where I go / it’s all the same“, singt er in The Letter. Das stimmt leider.
Haldern ist die spirituelle Heimat von Heulsusen Jeff Beadle, zeigt das Video zu How Calmly.
Jeff Beadle gibt es dieser Tage live in Deutschland.
7.2. 2015 – Jena – Int. Zentrum
8.2. 2015 – Lochwitz – Weidengrund
9.2. 2015 – Münster – Pension Schmidt
10.2. 2015 – Köln – Die Wohngemeinschaft
12.2. 2015 – Dortmund – Subrosa
20.2. 2015 – Nürnberg – Künstlerhaus (Supporting ‚Spain‘)
21.2. 2015 – Schorndorf – Manufaktur (Supporting ‚Spain‘)
23.2. 2015 – Reutlingen – Franz K
24.2. 2015 – Würzburg – Wunschlos Glücklich
25.2. 2015 – Chemnitz – Emmas Onkel
26.2. 2015 – Mönchengladbach – Kulturküche
27.2. 2015 – Aachen – Raststätte
28.2. 2015 – Offenbach – Hafen 2
7.3. 2015 – Saarbrücken – Manufaktur d.s. Dinge
10.3. 2015 – Bielefeld – Forum (Supporting ‚Spain‘)