Künstler | Jenny Hval | |
Album | Blood Bitch | |
Label | Sacred Bones | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
„Blood Bitch is an investigation of blood. Blood that is shed naturally“, sagt Jenny Hval über ihr viertes Album. Klingt gruselig? Ist es auch. „The white and red toilet roll chain which ties together the virgins, the whores, the mothers, the witches, the dreamers, and the lovers. Blood Bitch is also a fictitious story, fed by characters and images from horror and exploitation films of the ’70s. With that language, rather than smart, modern social commentary, I found I could tell a different story about myself and my own time: a poetic diary of modern transience and transcendence“, führt die Norwegerin weiter aus. Bei der Umsetzung dieser Idee ist sie geradezu radikal in der musikalischen Freiheit, die sie sich nimmt.
Einen Vorgeschmack darauf gibt bereits der Album-Auftakt Ritual Awakening. Das bestimmende Element ist ein Drone, aber ohne das Gefühl der zerstörerischen Gewalt, das man normalerweise mit diesem Begriff verbindet. Vielmehr klingt Jenny Hval, mit einer Stimme zwischen Björk und Nina Persson, hochgradig verängstigt. Wie geschickt sie Sound und Botschaft zur Synthese bringt, zeigt sich vor allem gegen Ende von Blood Bitch immer deutlicher. The Plague kombiniert Percussions, Noise und eine gehörige Tirade zu einer faszinierenden Soundcollage. Secret Touch könnte in Japan für Furore sorgen, auch (und insbesondere) bei Yoko Ono, weil es zugleich so putzig, exzentrisch und modern ist. Wenn im letzten Song des Albums, Lorna, der Text dann sogar gesprochen ist, sollte man trotzdem nicht den Fehler machen, ihn für ein Gedicht zu halten. Die Verbindung mit dieser höchst eigentümlichen Klangwelt ist unabdingbar für die Wirkung der Musik von Jenny Hval.
Mit ihren Liedern führt sie „a scalpel to the subjects of gender politics and sexuality“, hat die New York Times einmal über die Norwegerin geschrieben. Auch das ist auf Blood Bitch, das von Lasse Marhaug produziert wurde, sehr präsent. Untamed Region wirkt fast wie ein Hörspiel, das mit einer gesampleten Männerstimme beginnt, bevor Jenny Hval von einem Traum erzählt, dessen Themen offensichtlich Sexualität, Gewalt, Weiblichkeit und Kunst sind. Am Anfang von The Great Undressing stehen Geschnatter und Klatsch aus der Mädchen-Umkleidekabine, dann entwickelt sich daraus eine Reflexion über Kapitalismus, über den unsichtbaren Zwang, der mit ihm einher geht, und über die Ansprüchen ans Leben, die er uns nahelegt, von denen wir aber nicht sicher sein können, ob es unsere eigenen sind.
„There is a character in this story that is an updated vampire version of Virginia Woolfe’s Orlando, traveling through time and space. But there is also a story here of a 35-year old artist stuck in a touring loop, and wearing a black wig. She is always up at night, jet lagged, playing late night shows – and by day she is quietly resting over an Arp Odyssey synthesizer while a black van drives her around Europe and America. So this is my most fictional and most personal album. It’s also the first album where I’ve started reconnecting with the goth and metal scene I started out playing in many years ago, by remembering the drony qualities of Norwegian Black Metal. It’s an album of vampires, lunar cycles, sticky choruses, and the smell of warm leaves and winter.”
Was mit Letzterem gemeint ist, zeigt beispielsweise Female Vampire, in dem sich Jenny Hvals Stimme an ihrer eigenen Höhe bricht, wie man das von Annie kennt, begleitet von einem maschinellen und sogar recht schnellen Beat, der trotzdem nichts daran ändert, dass der Song insgesamt sphärisch bleibt. Auch Period Piece hat eine ähnliche Stimmung, kommt am nächsten an einen halbwegs konventionellen Song heran und entwirft trotzdem eine ganz eigene Welt. Die Sache mit den „sticky choruses“ bezieht sich sehr deutlich auf In The Red, wo das Stöhnen der Sängerin als Rhythmusinstrument genutzt wird und die einzige Zeile lautet: „It hurts everywhere.“
Es ist dieser Schmerz, der Blood Bitch ebenso prägt wie Jenny Hvals schon 2006 erschienenes Debütalbum oder die Nachfolger Innocence Is Kinky (2013) und Apocalypse, Girl (2015). Der klarste Beweis dafür ist Conceptual Romance mit seiner grandiosen Zeile „My heartbreak is too sentimental for you.“ Jenny Hval singt von der Schwierigkeit, in dieser durchrationalisierten Welt überhaupt Gefühle zu haben, die Musik dazu ist so etwas wie ein verwirrter OMD-Sound. Auch in den anderen Liedern ist sie stets ein gequälter Geist und sie macht deutlich: Sie leidet nicht an der Welt, weil sie die Welt nicht versteht, sondern weil sie die Welt so gut verstanden und erkannt hat, wie viel Anlass sie zum (Mit-)Leiden bietet.