Künstler | Jens Friebe | |
Album | Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus | |
Label | Staatsakt | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Ich bin halbwegs vertraut mit der Musik von Jens Friebe. Ich kenne natürlich Lawinenhund, auch Frau Baron und ein paar weitere Werke. Ich meinte zu wissen, was man von dem Mann erwarten darf, der einst in eine Schublade mit Tocotronic gesteckt wurde und mittlerweile ein Labelkollege der Sterne ist. Der erste Eindruck von Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus (kein Komma, das ist Absicht) ist dennoch ein eindeutiges: Wow. Hier hat jemand ganz eindeutig Pop verstanden, in all seinen Dimensionen. Hier ist jemand intelligent, aber nicht belehrend. Und das auch noch auf Deutsch. Ein Glücksfall.
Gemeinsam mit Schlagzeuger Chris Imler und Produzent Berend Intelmann, beide bereits langjährige Wegbegleiter, hat Jens Friebe mit seinem fünften Longplayer eine ebenso kurzweilige wie vielschichtige Platte hingelegt, der man große Könnerschaft genauso anmerkt wie Punk-Sozialisation, die vertraut ist mit der Geschichte, aber doch voll und ganz im Hier und Jetzt steht, die das Ausbrechen in die Welt der Kunst zu schätzen weiß und dennoch einen ganz unmittelbaren, manchmal sogar politischen Bezug auf den ganz realen Alltag nimmt. „Auf diesem Album haben sie etwas geschafft, was etablierten Popkünstlern nur noch ganz selten gelingt: (…) in ihrer Musik etwas hörbar zu machen, das als Prinzip zwar schon von Anfang an in ihr angelegt war, aber erst im Reifeprozess ganz nach oben gekommen ist“, schreibt Joachim Hentschel im Pressetext zu dieser Platte, und das kann man nur unterstreichen.
Hölle oder Hölle heißt der Auftakt, bietet Billigdisco in einem coolen Sinne und entpuppt sich als Lied über die Erfahrung, dass alles scheiße bleibt – so sehr man sich auch bemüht etwas daran zu ändern. „Die einen treten auf der Stelle / die anderen sind die Stelle, auf der man tritt“, fasst Jens Friebe das zusammen, in Zeilen wie „Wie viele küsst du nicht, wenn du küsst?“ steckt zudem die mindestens beunruhigende Erkenntnis, dass man womöglich immer etwas noch Besseres verpasst, selbst dann, wenn man sich gerade glücklich wähnt.
Der Titelsong ist innovativ, aufrichtig, elegant und gekonnt – nicht nur wegen des Orchesters, das darin zum Einsatz kommt, sondern wegen des Selbstvertrauens, das darin steckt, sich seinen Dämonen zu stellen, sie nicht nur zu akzeptieren, sondern in sein Leben einzuladen. Warum zählen die rückwärts Mammi ist gewitzt und kurzweilig, Ich wusste zu viel von euch lebt seine Lust auf Piano-Theatralik in der Nähe von Rufus Wainwright aus, der Schlusspunkt Zahlen zusammen gehen getrennt (für die Songtitel hat Jens Friebe eindeutig einen Komma-Boykott verhängt) ist eine famose, weise, rührende Ballade.
In den muskulöseren Momenten erinnert das an Phillip Boa, beispielsweise im Fall von
(I Am Not Born For) Plot Driven Porn, das ebenso eingängig und verdorben ist wie die Musik des Wahl-Maltesers und zudem auch um die Reize von weiblichen Stimmen (in diesem Fall: Vera Kropf und Gwendolin Tägert) weiß. Für Dein Programm hat sich Jens Friebe vom Kinofilm Her (Spike Jonze) inspirieren lassen, auch er thematisiert hier die Möglichkeit der Erotik zwischen Menschen und Algorithmen. Schlaflied ist toll romantisch und poetisch, erneut mit einer Zeile fürs Poesiealbum, wie sie nur „der klügste und schönste deutsche Pop-Hedonist der Post-Millenniums-Zeit“ (Joachim Hentschel) hinbekommen kann: „Mit allen, mit denen man nicht schlafen darf / schläft man im Schlaf.“
Spätestens bei What Will Death Be Like, einer deutschen Adaption des gleichnamigen Songs von Momus, ist man versucht, erstmals das Wort „Meisterwerk“ in den Mund zu nehmen. Die jungenhafte Stimme von Jens Friebe kontrastiert toll mit diesem Text, der zig Varianten aufzählt, wie sich der Tod bestimmt nicht anfühlen wird, und der so viel besser zu einer brüchigen Bob-Dylan-Stimme oder einem ehrfurchtgebietenden Johnny-Cash-Organ passen würde als zu diesem Gesang, in dem immer auch eine Spur Leichtigkeit steckt.
Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus ist hochgradig elaboriert, aber angefeuert von enormer Energie (Sei einfach nicht du selbst ist aggressiver, technoider Punk) und offen für Spontaneität (Guess Which Celebrity Partied Too Hard On Their 18th (Or Not) vertont, mit dem Gesang von Justine Electra, einen Text aus dem Bordmagazin von Easyjet, und klingt entsprechend verquer). Es ist – bei aller Komplexität – kein Hirnfick, sondern wunderbar direkt und eine Platte, die sofort auch einen emotionalen Zugang eröffnet. Mit anderen Worten: Dieses Album ist Kunst.