Jessie J – „Alive“

Künstler Jessie J

Eine Identität entwickelt Jessie J auch auf ihrem zweiten Album nicht.
Eine Identität entwickelt Jessie J auch auf ihrem zweiten Album nicht.
Album Alive
Label Universal
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Als britische Katy Perry wurde Jessie J nach ihrem Debüt Who You Are (2011) gefeiert. Kein Wunder bei diesen Dimensionen des Erfolgs: Sechs Top10-Hits warf die Platte in England ab, sie machte Jessie J berühmt genug, um beim Diamantenen Thronjubiläum der Queen und bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London zu singen. Spätestens mit  Price Tag (Platz 1 der deutschen Airplay-, Platz 3 der Verkaufscharts) war sie dann auch hierzulande ein großer Name.

Die Messlatte für Alive, das zweite Album der Dame, die als Jessica Ellen Cornish geboren, dann an der Brit School auf eine Karriere im Showgeschäft vorbereitet und schließlich von Sony zunächst als Songwriterin (unter anderem für Miley Cyrus) unter Vertrag genommen wurde, liegt also hoch. Und in puncto Hitpotenzial enttäuscht Jessie J keineswegs. Der Opener It’s My Party ist laut und knallig, die Vorab-Single Wild bietet viel Power und Gastauftritte von Big Sean und Dizzee Rascal, Sexy Lady ist ein Frontalangriff auf die Charts.

Der Teufel steckt hier aber im Detail. Wo Katy Perry (mit der Jessie J auch schon auf Tour war) einen bis zur Perfektion ausgetüftelten Sound hat, der in jedem Moment hundertprozentig zu ihrem Image passt, gibt es auf Alive oftmals nur Blendwerk mit wenig Substanz. Die drei bereits erwähnten Singles zeigen das: Im Refrain von It’s My Party muss bei jeder Viertelnote ein Crash-Becken ertönen, wie ein verzweifelter Versuch, dem nur oberflächlich zündenden Track mehr Kraft und Begeisterung zu verleihen. Sexy Lady leidet ebenso am Zuviel des Guten: Wenn man wirklich eine sexy Lady ist, dann muss man das nicht so penetrant betonen wie der Refrain dieses Lieds es tut. Und Wild ist zwar solide, die Gast-Raps wirken aber eher hineinmontiert als organisch mit dem Rest des Tracks verwoben.

Noch schlimmer als solche Schwächen wiegt bei Jessie J aber ein anderer Vowurf. Alive lässt keine Persönlichkeit erkennen, im Gegenteil: Etliche Stücke wirken, als würde Jessie J noch immer für andere Künstler schreiben statt ihre eigenen Gefühle, ihr eigenes Leben auszudrücken.

Thunder ist so ein Beispiel, das vielleicht Ellie Goulding sein möchte, aber deren Klasse bei weitem nicht erreicht. Die Ballade I Miss Her klingt nicht gefühlvoll, sondern geschauspielert, kitschig und nervtötend. Conquer The World, bei dem Brandy einen Gastauftritt hat, scheint ein ganz schlechtes Demo aus dem Mülleimer der Spice Girls zu sein. In Square One gibt es originelle Details und stimmige Passagen wie den dritten Refrain, der Rest wird aber erdrückt vom theatralischen Gesang.

Ärgerlich sind solche Momente vor allem wegen der durchaus vorhandenen Lichtblicke auf Alive, die zeigen, dass Jessie J nicht nur eine sehr gute Sängerin ist, sondern auch mehr als brauchbare Popsongs hinbekommen kann. Harder We Fall ist das bestechendste Beispiel dafür, es klingt (trotz eines überflüssigen Wohoho-Teils) wunderbar, als hätte Robyn einen Song für die Sugababes geschrieben. Daydreamin bietet zumindest gut gemachten Miami-Sound, auch wenn der im Jahre 1993 oder 1987 sicherlich spektakulärer gewirkt hätte als heute, Gold setzt auf die große Geste und lebt diesen Ansatz konsequent aus, Excuse My Rude (mit Becky G und einer guten Dosis Dubstep) ist durchgeknallt, kurzweilig und das erste Lied auf diesem Album, bei dem eine Identität der Interpretin erkennbar ist.

Der Titelsong ganz am Ende der Platte passt bezeichnenderweise zum Problem der verpassten Chancen, die dieses Werk prägen: Der Song ist gut und könnte sich gut im Repertoire von Pink, Nelly Furtado oder eben Katy Perry machen, leidet aber an der Produktion, die auf dem gesamten Album eine unerklärliche Vorliebe für dünne Beats und billig klingende Gitarren erkennen lässt.

Der Tiefpunkt von Alive ist Breathe: Musikalisch bietet Jessie J da allenfalls ESC-Wegwerfware, textlich ergeht sie sich in dummen Sex- und Drogenmetaphern. Das passt, ebenso wie die Quasi-Nacktbilder und pseudo-provokanten Posen im Booklet, kein bisschen zur Botschaft von Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Emanzipation, die in den anderen Liedern zwar nicht tiefgründig, aber immerhin regelmäßig propagiert wird. Auch wegen dieses Songs findet man bei der 26-Jährigen selbst auf ihrem zweiten Album, in Anspielung auf den Titel ihres Debüts, keine Antwort auf die Frage: Who Are You?

Jessie J singt Excuse My Rude akustisch:

httpv://www.youtube.com/watch?v=juqsasndweU

Homepage von Jessie J.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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