Hingehört: Josin – „Epilogue“

Künstler Josin

Epilogue Josin Kritik Rezension
Der Name täuscht: „Epilogue“ ist Josins erste EP.
EP Epilogue
Label Dumont Dumont
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

„Meine Songs haben meist keinen klassischen Aufbau mit einem ‚vernünftigen‘ Anfang und Ende. Es gibt oft Dinge, die musikalisch ungesagt bleiben. Etwas Erwartetes bleibt aus. Aber alles ist auch immer im Wandel“, sagt Josin über ihre Musik. Aus dem Zitat spricht nicht nur eine Musikalität, die ihr in die Wiege gelegt wurde (beide Eltern sind Opernsänger), sondern auch ein Kampf, den sie noch immer mit diesem Metier ausficht. In Köln geboren, hat sie in Frankreich, ihrer zweiten Heimat, Medizin studiert und dann durchaus überlegt, ob es eine kluge Entscheidung wäre, den Weg zu beschreiten, den schon ihre Eltern gegangen waren, oder doch eher bei Patienten, Diagnosen und Therapien zu bleiben. „Ich habe mich für die Musik entschieden“, lautete schließlich das Ergebnis ihres Grübelns.

Ihrer ersten EP, irritierenderweise Epilogue genannt, hört man diesen Ansatz an: Josin ist zugleich eine Lernende und auch jemand, der unbedingt einen hoch individuellen Zugang zum Musikmachen finden will. Der erste Song Oh Boy beginnt mir Klavier und Heliumstimme, gewinnt dann immer mehr Struktur, aber der Gesang bleibt fast wie Lautmalerei. Auch Midnight Sun hat dieses Wachsen und Wabern in sich: Es gibt ein paar Klaviertöne, verhuschte Elektronik und die eigentümliche Stimme von Josin, von der man kaum versteht, was sie für Wörter ausdrückt, aber sehr genau erkennt, was sie fühlt: Isolation, Schmerz, Sehnsucht, eine Erinnerung an Ausgelassenheit, zu der sie vor langer Zeit einmal fähig war.

„Am Anfang ist eine Stimmung, ein Bild. Ich fange immer mit der Musik an, dann kommen die Melodien und die Worte, wie eine unausweichliche Konsequenz des Gefühlten, am Ende“, umschreibt Josin, die beispielsweise schon im Vorprogramm von Hundreds zu sehen war, die Entstehung ihrer Lieder. Sehr klar lässt sich diese Evolution in The One (Epiloge) erkennen: Wenn auch dieses Lied am Ende anschwillt, kann man sich sehr gut vorstellen, wie wirkungsvoll das als Club-Remix sein könnte – und genau in diesem Moment gesellt sich dann auch ein (freilich dezenter) Beat zum Cello.

In Evaporation reichen nur Orgel und Stimme aus, um eine beeindruckende Majestät zu erzeugen. Die Musik von Feral Thing ist lebendig, sogar nervös, im Kontrast dazu bleibt der Gesang wie weggetreten, wie aus einer Hypnose heraus gesungen. Die EP profitiert davon, dass man den fünf Songs anhört, wie sie sich Schritt für Schritt an genau ihren richtigen Klang annähern. „Musik machen und vor allem das Produzieren ist immer ein Prozess: Manche Fähigkeiten werden besser mit der Zeit, manche Macken setzen sich immer mehr“, hat Josin erkannt. „Das Schwierigste bei neuen Songs ist oft die Frage, was sie ’nicht brauchen‘, was man weglässt. Es gibt so viele Farben. Aber das macht es dynamisch und ich liebe die Freiheit, mal die elektronische Welt zu besuchen und dann wieder Streicher-Arrangements zu schreiben. Und am Ende weiß man immer, wann ein Song fertig ist und all die vermeintlichen Farben werden zur einzig möglichen Lösung des Rätsels.“

Epilogue ist im Ergebnis sehr eigenständig, nicht nur durch die äußerst ungewöhnliche Stimme von Josin, sondern auch durch den Sound. Eine Herausforderung deutet die EP aber auch bereits an: Auf Albumlänge könnte das langweilig werden, wenn Josin bei ihrer Suche nach dem perfekten Sound nicht noch ein paar weitere Tricks lernt.

Ein Trailer-Video zu Epilogue.

Website von Josin.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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