Künstler | Julia Holter | |
Album | In The Same Room | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Es ist eine sehr glückliche Fügung, dass Julia Holter auf ihrem 2012er Album Ekstasis einen Song namens In The Same Room hatte. Denn dieser Titel passt perfekt zum Konzept der neuen Reihe ihrer Plattenfirma Domino, das sie mit ihrem gerade erschienenen Longplayer eröffnet: Unter der Überschrift „Documents“ gibt es ab sofort Aufnahmen von Domino-Künstlern live im Studio zu hören, inspiriert von den BBC Sessions.
In The Same Room zeigt, was damit möglich ist. Julia Holter spielt Material vom Debütalbum Tragedy (2011) sowie von Loud City Song (2013) und gleich sieben Neuinterpretationen von Have You In My Wilderness (2015). Sie wird begleitet von Corey Fogel (Schlagzeug), Dina Maccabee (Viola) und Devin Hoff (Kontrabass). Die gesamte Platte wurde innerhalb von zwei Tagen aufgenommen und profitiert hörbar davon, wie gut eingespielt das Quartett ist, das zum Zeitpunkt der Aufnahmen gerade auf Tour war, und wie viel Lust es darauf hat, dem eigenen Repertoire neue Facetten abzugewinnen. Die Virtuosität und Kreativität, die prägend für die Musik von Julia Holter sind, bleiben auch in diesem extrem reduzierten Setting unverkennbar.
Horns Surrounding Me eröffnet das Album, alles klingt freischwebend, auch das Klavier, das auf magische Weise trotzdem die prägende Kraft dieses Lieds wird, und das Schlagzeug, das nicht vorantreibt, sondern in Details ergänzt. Dazu zeigt Julia Holter, dass ihr Gesang innerhalb von ein paar Tönen von schläfrig zu ekstatisch wechseln kann, wie man das von Björk kennt.
Weitere Referenzpunkte sind extrem schwer zu benennen: Das vergleichsweise konventionelle Silhouette würde zu Austra passen, wenn man es drei Nächte lang in einem Club einsperrt. Betsy On The Roof klingt wie eine offene Wunde, die im Verlauf des Lieds zwar nicht geheilt wird, aber immer schöner blutet, sodass man an die Dresden Dolls denken muss. Sea Calls Me Home wird beinahe ein bisschen eingängig; man möchte wetten, dass das Brian Wilson (wegen der Großspurigkeit und Romantik) ebenso gefällt wie Lauri Anderson (wegen der Viola, die in puncto Schmerzhaftigkeit mit dem Backgroundgesang konkurriert). In So Lillies, dem einzigen Song vom Debütalbum, wird der Gesang Julia Holters leicht versetzt von Dina Maccabee gedoppelt, das Ergebnis ist verwirrend und spannend und zum Höhepunkt am Ende so sehr nicht von dieser Welt, dass Kate Pierson von den B-52s vielleicht Spaß daran hätte.
Der Rest von In The Same Room ist so eigenständig und ungewöhnlich, dass es eben Julia Holter sein muss. Vasquez ist irgendwie Jazz und irgendwie Weltmusik, alles zusammen und alles dazwischen. “All the people run from the horizon”, heißt es am Ende von How Long immer wieder, und sie scheinen guten Grund zu haben angesichts einer so düsteren und bedrückten Stimmung. Lucette Stranded On The Island bleibt in der Form abstrakt, in der Wirkung allerdings sehr eindringlich: Hilflosigkeit und Mitgefühl stecken in jedem Ton. Feel You hingegen verbreitet zumindest etwas Heiterkeit, vor allem durch das Klavinett und das verspielte Schlagzeug. Bei City Appearing meint man praktisch die Räucherstäbchen im Studio riechen zu können, bevor es dann doch reichlich dramatisch wird.
Dass Julia Holter gleich zwei Studienabschlüsse in Komposition hat, wirkt sich hier keineswegs so aus, dass sie ihre Stücke für sakrosankt hält und live im Studio möglichst originalgetreu reproduziert. Vielmehr lebt die 32-Jährige auch hier ihre Lust auf Kreativität aus und lotet aus, wie subtile Änderungen die Stimmung eines Stücks durchaus signifikant verändern können. In The Same Room ist deshalb wegen der neuen Arrangements spannend für langjährige Fans, zugleich für Novizen eine gute erste Annäherung an ihr Werk.