Künstler | Julian Williams | |
Album | Vergessene Welt | |
Label | Deadhead Records | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Satte elf Jahre hat sich Julian Williams für dieses Album Zeit gelassen. Der Mann aus Frankfurt, der sich früher J-Luv nannte und noch früher von Moses Pelham entdeckt worden war, hat die Zeit offensichtlich gut genutzt. Vergessene Welt lebt von seiner sehr guten Stimme, einer guten Produktion und dem Spannungsverhältnis zwischen Rap-Mentalität und Pop-Affinität.
Ein Lied wie Prisma belegt das mit einem guten Arrangement, guten Sounddesign und überzeugender Atmosphäre. Auch der vom Klavier geprägte Auftakt Schwarze Luftballons gefällt: Das wird allen (Zuschauern und Jurymitgliedern) bei The Voice Of Germany und allen Fans von Philipp Poisel gefallen, ist eingängig, angenehm, sensibel und beweist sogar ein winziges Fitzelchen Anspruch. Der Wegweiser für Durch die Nacht sind für Julian Williams offensichtlich die schicken Fußspuren von The Weeknd. Mit Wie schön es ist gelingt ihm eine gewitzte und schöne Interpretation von Marvin Gayes How Sweet It Is (To Be Loved By You).
Wie schon auf seinem letzten Longplayer Threeshots (feat. HipHopKingz) – damals waren etwa Dendemann, Kool Savas, Samy Deluxe, Afrob, Das Bo und die Beginner dabei – hat der Deutsch-Amerikaner auch diesmal sehr prominente Gäste zu bieten. Marteria gesellt sich in der Single Brände dazu, die zwar reichlich Aggressivität und Bedrohlichkeit ausstrahlt, aber bloß in einer Plastik-Variante, weil die gewählten musikalischen Mittel etwas zu vertraut sind. Als Bonustrack gibt es den Provo Rmx von Eiszeit, mit einem Gastauftritt von Haftbefehl – der Remix ist deutlich besser, weil mutiger als das Original. Auch Megaloh darf bei einem Remix mitmachen und reichert Vollmond um einen Rap an, der dem Track sehr gut tut.
Was Julian Williams in den elf Jahren seit seinem letzten Album aber leider nicht gefunden hat, ist eine klare Richtung. Vergessene Welt wirkt insgesamt unausgegoren, oft auch beschränkt. Williams kommt rüber wie jemand, der etliche Konflikte und noch mehr große Gefühle in sich spürt, aber nicht immer die passende Form findet, um ihnen Ausdruck zu verleihen.
Ob in Text wie der von So wie Du bist wirklich Sinn ergibt, ist offensichtlich zweitrangig, solange er möglichst viele große Begriffe wie Liebe, Intrigen, Raub, Kraft und Schmerz hineinpacken kann. Zum Mond müsste dann doch auf Englisch sein, um nicht krude oder kitschig zu klingen. Vor und Zurück hat selbst für ein Lied, dessen Thema der Dancefloor ist, zu wenig Substanz.
Vergessene Welt ist insgesamt deutlich zu lang, was auch daran liegt, dass Julian Williams fast immer aus einer Märtyrer-Pose à la Unheilig singt, und fast immer mit einer Intonation, die eher auf Säuseln denn auf Dynamik setzt. Komet ist so ein Song, der beweist, dass er immer wie ein Leidensmann singt, egal wie komplex, ambitioniert oder gerne auch kraftvoll die Musik dazu ist. „Du weckst das Tier in mir“, heißt eine Zeile in Vollmond, er singt sie allerdings so zahm, als würde er selbst vor Schmetterlingen Reißaus nehmen.
Ein sehr typisches Lied für dieses Album ist Narben: Es erweist sich als Track über die eigenen Tattoos und wohl auch als Song für alle, die sich noch immer dafür rechtfertigen müssen, wenn sie den eigenen Körper zur Leinwand machen. Die Idee ist originell, die Umsetzung mittelprächtig. Nervig ist auch das stilistische Chaos der Vergessenen Welt: Manches kommt dem Schlager gefährlich nahe, an anderer Stelle gibt es verkrampfte Modernismen. Der Text von Lass es brennen könnte aus dem Notizbuch von Rammstein stammen, ein Song wie Perfekter Tag würde hingegen auch den Fans von Florian Silbereisen gefallen. Auch das bekräftigt den Eindruck, dass Julian Williams nicht so recht weiß, was, wie und für wen er singen möchte.
Das Video zu Narben belegt: Julian Williams ist tätowiert.
https://www.youtube.com/watch?v=-xn1aFQXKWo