Hingehört: Justin Bieber – „Purpose“

Künstler Justin Bieber

Cover des Albums Purpose von Justin Bieber
Viertes Album, vierte Nummer 1: Aus diesem Status macht Justin Bieber zu wenig.
Album Purpose
Label Def Jam
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Kein Mensch würde in Abrede stellen, dass Justin Bieber ein Superstar ist. Der 21-Jährige hat mehr als 15 Millionen Alben und über 26 Millionen Singles verkauft. Er hält den Rekord für den meistgeklickten Clip auf YouTube (Baby) und die meisten Videoabrufe eines einzelnen Künstlers (mehr als zwei Milliarden). Die Schar seiner Facebook-Fans ist größer als die Einwohnerzahl Argentiniens, seine Twitter-Follower könnten 270 Mal das Stadion in Dortmund füllen. Alle seine bisherigen Alben haben Platz 1 der US-Charts erreicht, Forbes setzte ihn in der Liste der einflussreichsten Prominenten der Welt gerade auf Platz 3.

Es ist auch offensichtlich, dass Justin Bieber ein aufregendes Leben hat: Welttourneen, Jetset, Filmrollen, Treffen und Zusammenarbeit mit legendären Künstlern wie Usher, Busta Rhymes oder Mariah Carey.

Die Frage, die sich angesichts von Purpose stellt, seinem vor sechs Wochen veröffentlichten vierten Studioalbum, lautet deshalb: Warum macht Justin Bieber so sagenhaft langweilige Musik? Statt über die interessanten Seiten seines Lebens zu singen (On-Off-Beziehungen, Pimmelbilder, angeblich geschwängerte Fans), gibt sich der 21-Jährige als kreuzbraver Junge. Ähnlich wie bei Miley Cyrus gibt es in den Songs nichts, was dem angeblich rebellischen Geist des Künstlers entspricht. Im Gegenteil: alles aalglatt. „My life is a movie / and everyone’s watching“, singt Bieber im Vorab-Track I’ll Show You. Aber Purpose erweist sich als ein Film, der frei von Action, Humor, Erotik, Spannung oder irgendeinem Hauch von Entertainment ist. Stattdessen bekommen die Fans einen Hochglanz-Werbespot für das Produkt Justin Bieber.

Dazu passt die Musik, die viel professionelles Produktionshandwerk demonstriert, aber keinerlei Charakter. Sorry, ein weiterer Vorab-Track, reiht längst bekannte Text- und Soundbausteine aneinander ohne ein Fitzelchen von Identität. Company ist vollkommen seicht, besser als in No Sense kann man das Wort „Langeweile“ nicht vertonen. Been You und Trust, zwei der fünf Bonustracks auf der Deluxe-Edition von Purpose, sind ebenso überflüssig und gesichtslos, The Feeling (mit Halsey) vereint schließlich alles, was schlimm ist am aktuellen Pop.

Selbst die besseren Momente von Purpose sind austauschbar, etwa die gemeinsam mit Ed Sheeran entstandene Single Love Yourself. Darin erklingen nur E-Gitarre und Justin Biebers schöner Gesang, und das steht dem Kanadier (trotz der naiven Botschaft des Songs) durchaus gut. Das gilt auch für die nette Soundkulisse von All In It, ebenso wie für den Tropical-House-Ausflug Where Are Ü Now mit Skrillex und Diplo. Es ist der einzige Track auf diesem Album, der so etwas wie Punch hat und damit ein Lichtblick inmitten von sehr, sehr viel Dunkelheit wird.

Um einen Eindruck davon zu geben, wie diese Dunkelheit aussieht: Der Auftakt Mark My Words bietet nur selbstverliebtes Gestöhne; dass so etwas als Musik gilt, haben wir wohl zu 20 Prozent Michael Jackson und zu 80 Prozent The Weeknd zu verdanken. In No Pressure reißt erst der Rap von Big Sean den Track aus dem Tiefschlaf (ein Effekt, der im Bonustrack We Are noch einmal eintritt, diesmal übernimmt Nas die Rolle des Wachmachers). Children lässt einen dümmlichen Weltverbesserer-Text ausgerechnet auf einen Eurodance-Clubsound treffen. Auch der Titelsong wird schlimmer Kitsch, der noch übertroffen wird durch den ach so erbaulichen Spoken-Word-Abschluss.

Es ist gar nicht so sehr die Qualität der Songs, die auf dieser Platte schockiert, sondern die Tatsache, wie wenig Justin Bieber – immerhin ein Künstler, der sein Debütalbum My World 2.0 genannt hatte – den Anspruch hat, irgendetwas Individuelles mitzuteilen und wie wenig Interesse er daran hat, die Garantie eines kommerziellen Erfolges für kreative Freiheiten zu nutzen. Die Musik ist nicht unterirdisch, nur durch und durch gewöhnlich. Das Talent von Justin Bieber ist nicht zu leugnen, nur vollkommen verschenkt. Dass die wichtigste Eigenschaft des größten lebenden Popstars ausgerechnet Stromlinienförmigkeit ist, macht Purpose überdeutlich. Und dürfte alle, die beim Anblick von Justin Bieber keine feuchten Höschen bekommen und nicht auf 08/15-RnB stehen, sehr traurig machen.

Immerhin: Justin Bieber sagt Sorry.

Website von Justin Bieber.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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