Künstler | K. Flay | |
Album | Every Where Is Some Where | |
Label | Interscope | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
„I wrote my life as a list / thinking: Is this shit all there is?“, fragt sich K. Flay in Slow March, dem letzten Song von Every Where Is Some Where. Für so viel Selbstkritik besteht natürlich kein Anlass: Seit ihrem 2011 veröffentlichten Mixtape I Stopped Caring In ´96 geht es für die Dame aus Illinois, die mittlerweile in Los Angeles lebt, ziemlich stetig bergauf: Major-Deal, Jobs für die Beastie Boys und eine Tournee mit Snoop Dogg, ein tolles Debütalbum mit Life As A Dog, zuletzt die gefeierte EP Crush Me.
Auch auf Every Where Is Some Where glänzt Kristine Flaherty, so ihr bürgerlicher Name, fast ausnahmslos. Ihre Musik vereint die große Klappe von Rappern, das melodische Feingefühl von Pop und die emotionale Urgewalt von Rock. „Dass sich in meiner Musik so viele verschiedene Sounds finden, liegt wahrscheinlich daran, dass ich selbst ganz unterschiedliche Stile mag. Es geht nicht ums Vermischen an sich, sondern um Vielfalt“, hatte sie mir im vergangenen Jahr im Interview gesagt. Ihr zweites Album lebt diesen Ansatz noch konsequenter aus.
Es gibt von K. Flay diesmal lupenreinen HipHop wie in Champagne, mit einem so giftigen und cleveren Rap, dass Eminem dafür töten würde. Es gibt wunderschöne Popsongs wie You Felt Right über das tragische, vergebliche Verliebtsein, das sich trotzdem wie ein Trost anfühlen kann, weil es zeigt, dass man lebendig ist und immerhin noch imstande, zu hoffen auf das Glück. Und es gibt Momente wie Blood In The Cut, das schon auf der EP Crush Me vertreten war, und nicht nur heavy ist, sondern sogar brachial. Die Botschaft darin lautet: Man darf unvernünftig sein, rasend, böse. Man darf eine Enttäuschung sein, sogar für die eigenen Maßstäbe, zumindest ab und zu.
Das führt wieder zum Zitat vom Anfang und zur größten Stärke der 31-Jährigen: Die Musik von K. Flay hat oft eine unwiderstehliche Unmittelbarkeit, aber sie ist nie oberflächlich. In ihren äußerst intelligenten Texten geht es um Reflexion, Selbstbehauptung, Sinnsuche, selbst hinter dem zunächst wirr wirkenden Albumtitel von Every Where Is Some Where steckt ein fast philosophischer Gedanke: „Jeder Song des Albums handelt davon, einer Sache eine andere Bedeutung zu geben, die eigene Sichtweise darauf zu ändern. Und was den Titel angeht: Selbst die düstersten Ecken sind immer noch Ecken. Man ist also nicht im Nichts, sondern schon noch irgendwo.“
Der Opener Dreamers mit seinem sehr schicken Refrain zeigt, wie das gemeint ist: Es gibt nichts zu bereuen, es gibt nichts, das mehr gefeiert werden sollte als die eigene Individualität – das ist die Aussage, auf den Punkt gebracht in der wundervollen Zeile „The only thing to fear / is never being scared“. Giver handelt von der Suche nach der richtigen Position und dem richtigen Weg im Leben, inklusive Menschen, die einen vielleicht in dieser Position bestätigen und einem Kompass, der vielleicht den Weg weisen kann. Ein Vers wie „I’m learning to live / I’m trying to be better“ würde bei anderen Künstlern womöglich banal und naiv klingen, hier passt er perfekt.
So wie die Single High Enough würde es vielleicht klingen, wenn Marilyn Manson plötzlich Liebeslieder machen würde. “Es gibt ja schließlich schon so viele Songs, die davon handeln, dass sich jemand wegschießt. Ich glaube, dass ein Teil von mir einfach die Frage gestellt hat: Was wäre, wenn ich vielleicht schon high genug bin? Wenn ich vielleicht gar nicht mehr brauche als das, was ich sowieso schon habe?“, erklärt K. Flay die Idee dahinter. „In meinem Leben gibt es immer wieder diese Momente – sei es wegen einer Person oder wegen eines Ortes – in denen ich auf keinen Fall einen anderen Bewusstseinszustand haben, irgendwie auf Drogen oder high oder stoned oder breit sein will. Ich will dann einfach nur genau das fühlen, was ich in diesem Moment gerade fühle.”
Mean It behandelt das Streben nach Wahrheit und Aufrichtigkeit, dessen Bedeutung K. Flay auch deshalb so bewusst ist, weil ihre eigene Familiengeschichte beweist, wie schnell man in einer Lebenslüge landen kann. Hollywood Forever wird so ein toller Popsong, weil sie sich nicht ins Unantastbare überhöht, sondern von ihrer eigenen Fehlbarkeit erzählt. Wie erstaunlich aufregend ein Thema klingen, das man wohl am besten mit einem so unsexy Begriff wie „Achtsamkeit“ zusammenfasst, zeigt It’s Just A Lot.
Unnachahmlich ist nach wie vor auch die Stimme von K. Flay: Wenn sie rappt, hat sie einen grandiosen Flow, wenn sie singt, klingt sie wie Lisa Simpson, nachdem die eine Million Enttäuschungen erlebt und erkannt hat, dass noch so viel Talent, guter Wille und Optimismus nicht reichen, um glücklich zu werden in dieser Welt – weil man auch Entschlossenheit und Ellenbogen braucht. Der Song, der das am besten illustriert, ist Black Wave. „In the end, I guess we’re all just animals“, meint sie darin, und diese Erkenntnis erklärt sowohl die Schwierigkeit, mit diesem Leben zurechtzukommen, als auch den Wutausbruch im Refrain, der mindestens The-Prodigy-Ausmaße annimmt.
Überhaupt ist Every Where Is Some Where, produziert unter anderem von Mike Elizondo (Fiona Apple, Regina Spektor) und Tommy English (Ladyhawke) deutlich gitarrenlastiger als das Debüt. „Nach Life As A Dog habe ich extrem viel Rockmusik gehört, vor allem aus den späten Neunzigern und frühen Nullerjahren. Ich habe mich von der Energie von Leuten wie Karen O, Shirley Manson und Emily Haines inspirieren lassen – und deshalb spielen auch Live-Gitarren, Bass-Parts und echtes Schlagzeug eine so zentrale Rolle auf dem neuen Album“, erklärt K. Flay.
In einem Fall führt das zwar zu einem Ausfall (The President Has A Sex Tape ist etwas plump, sowohl in der Aussage als auch in der Wahl der musikalischen Mittel), ansonsten zeigt K. Flay mit ihrem zweiten Album, dass sie nichts weniger als ein Ausnahmetalent ist.