Künstler | Karen Elson | |
Album | Double Roses | |
Label | 1965 Records | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Sieben Jahre hat Karen Elson für ihr zweites Album Double Roses gebraucht. Ihr 2010 veröffentlichtes Debüt The Ghost Who Walks wurde von Jack White produziert, der damals noch ihr Ehemann war. Dass es danach nur sporadische musikalische Lebenszeichen vor ihr gab, erklärt die 38-Jährige mit drei recht einleuchtenden Gründen: Sie arbeitet nach wie vor als Model. Sie zieht in Nashville zwei Kinder groß. Und sie war mit den ersten Ideen, die sie für ein neues Album hatte, nicht zufrieden.
“I wrote maybe six songs but I’m very instinctual as a person and I knew that there was one puzzle piece missing that I hadn’t tapped into the deepest part myself. I knew I needed to pull that out if I was going to make the record I needed to make”, sagt die gebürtige Engländerin. Mit Distant Shore, das nun als Schlusspunkt für Double Roses fungiert, platzte der Knoten. Hört man das Lied, ist sofort klar, was sie meinte: Der Song ist nicht nur wunderhübsch und sehr ursprünglich, sondern eben auch mit dem gewissen Etwas versehen.
Laura Marling (Gesang) und Benmont Tench (Klavier) unterstützen dabei, weitere Gäste in den anderen Tracks sind Pat Carney (The Black Keys), Father John Misty, Pat Sansone (Wilco), Nate Walcott (Bright Eyes) und Dhani Harrison. Produziert wurden die dreiwöchigen Aufnahmen in Los Angeles von Jonathan Wilson (Jackson Browne, Conor Oberst).
Das Ergebnis ist ein klasse Singer-Songwriter-Album, das vor allem von seiner Vielseitigkeit lebt. Reduzierten Stücken wie dem erwähnten Distant Shore steht Opulenz gegenüber wie im Auftakt Wonder Blind: Eine Harfe gibt dem Song seine Struktur, später folgen ein Flöten- und ein Orgelsolo. “Is it worth the cost / to lose yourself when you’re already lost?”, lautet die Frage dazu. Why Am I Waiting überrascht mit Synthesizern und baut auf behutsame Weise rund um die Frage im Titel eine sehr spannende Atmosphäre auf. In Wolf gibt sich Karen Elson geschlagen, aber selbst in ihrer Niederlage steckt so viel Würde, dass man ihr sogar das ausgiebige Saxofonsolo am Endes des Stücks verzeiht.
Zu den Stärken der Platte gehört, dass sie nicht wie ein zweites Album klingt (zumal von einer musikalischen Quereinsteigerin), sondern wie ein fünftes, sechstes, zehntes – und das ist als Kompliment gemeint. Raven illustriert diesen Effekt, ist sehr erwachsen, stolz und romantisch. Come Hell And High Water kommt zugleich verführerisch und entschlossen daher, A Million Stars wird wunderbar sanft, souverän und leidenschaftlich.
Der Titel der Platte ist einem Gedicht von Sam Shepard entnommen, das Karen Elson sehr gerührt hat. Einige Zeilen daraus spricht sie nun im mäandernden, flirrenden Titeltrack, der zugleich verdeuticht: In “mellow” stecken alle Buchstaben, die man für “Moll” braucht. Spannend ist natürlich auch die Frage, ob die Sängerin hier gegen den Exmann austeilt, und zumindest Indizien dafür bietet die Platte. “Didn’t I take a bullet for you? / didn’t I cut out my heart?”, heißt die Anklage im aufwühlenden und wehmütigen The End. Schon etwas aufgeräumter kommt Call Your Name daher, das traurigschön (bis auf das etwas zu aufdringliche Schlagzeug im Refrain) vom Hinwegkommen über einen Verlust erzählt.
Die Wunden sind offensichtlich verheilt, und sollte Karen Elson ihre neue Platte auch als eine Methode der Verarbeitung betrachten, dann war Double Roses für sie (und für uns sowieso) ein Erfolg, wie sie sagt: “At the end of the writing the album I felt liberated. I felt free. I felt like me.”