Künstler | Katy B | |
Album | Little Red | |
Label | Rinse | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Als Rinse FM, so etwas wie die Heimat von Dubstep, im Oktober 2011 in der O2 Academy in Brixton seinen 17. Geburtstag feierte, waren alle Stars des Labels (und damit quasi auch: des Genres) vertreten. Katy B durfte als Überraschungsgast auf der Hauptbühne auftreten, fast am Ende des Abends. So eine Ehre zeigt: Für den Titel als Prinzessin des Dubstep hatte sie – damals wie heute – wenig Konkurrenz.
Ziemlich genau ein halbes Jahr später legte sie ihr Debütalbum Katy On A Mission vor und erreichte Platz 2 in den englischen Charts. Jetzt legt sie mit Little Red nach. Ihr zweiter Longplayer zeigt vor allem eins: Auf die Club-Schublade will sich die 24-Jährige auf keinen Fall mehr reduzieren lassen. Ihre Dubstep-Wurzeln sind auch hier erkennbar (ihr langjähriger Produzent Geeneus ist wieder an Bord), aber Little Red hat auch reichlich andere elektronische Klänge zu bieten, gelegentlich sogar lupenreinen Pop.
Auch die Themen sind vielfältiger geworden. Katy On A Mission war, nicht nur im Sound, in erster Linie auf Party fokussiert. Jetzt gibt es auch nachdenkliche Momente. „Das erste Album hatte so eine gewisse Unschuld“, sagt Katy B. „Ich denke, dass dieses Album etwas mehr Erfahrung bietet. Meine Beziehungen sind ernsthafter geworden, ich bin bei meinen Eltern ausgezogen, ich kümmere mich selbst um meine Angelegenheiten. All meine Freunde machen die gleichen Prozesse durch — diese Fragen, die du dir selbst als Erwachsener stellst.“
Schon der Opener Next Thing, ein mehr oder weniger lupenreiner House-Track, zeigt sie eher ladylike wie Robyn als ungestüm oder rebellisch. Sapphire Blue ist ebenfalls höchst stilvoll und wird, ganz ähnlich wie Still oder Stay Down (einer von gleich fünf Bonustracks auf der Deluxe Edition von Little Red) in gewisser Weise typisch für das Album: Man kann nicht recht benennen, was diese Songs auszeichnet, trotzdem sind sie überzeugend und besonders. Play (feat. Sampha) erzeugt eine spannende Atmosphäre, indem die beiden nicht so sehr miteinander singen, sondern eher, als wären sie beide in einem dunklen Raum gefangen und würden den Ausgang ebenso ängstlich suchen wie die andere Person im Raum.
I Like You wird die Fans der ersten Stunde glücklich machen: Das Lied hat viel Punch, die Refrainzeile „I like you a little bit“ macht schnell süchtig und am Ende landet der Track am Rande des Wahnsinns. Emotions hat ein ähnlich spektakuläres Finale zu bieten, in Hot Like Fire scheint Katy B selbst kaum der Energie gewachsen zu sein, die der Song verströmt.
Auf der anderen Seite überrascht – vor allem, wenn man Katy B noch als Aushängeschild eines innovativen, wagemutigen, subversiven Genres vor Augen hat –, wie viele klassische Popmomente es auf Little Red gibt. All My Lovin’ ist auch nicht moderner als das, was die Sugababes vor zwölf Jahren mit Freak Like Me gemacht haben, dazu gibt es am Ende noch ein Zitat von Ginuwines Pony (aus dem Jahr 1996). Everything würde sogar auf ein Whigfield-Album passen.
Bei zwei Stücken war Guy Chambers, bekannt als der Ex-Songschreiber von Robbie Williams, als Autor dabei, bezeichnenderweise hat Katy B beide Lieder als Singles ausgewählt. Eines davon ist 5AM, ein heiterer, eingängiger, guter Popsong, auf dem Katy B so mädchenhaft klingt wie sonst nirgends auf diesem Album. Der andere ist Crying For No Reason, eine Ballade, die man sich auch von Katy Perry oder Emeli Sandé vorstellen könnte. Nicht der Beat ist hier besonders, sondern die Komposition. Den Text verfasste Katy B, als eine Freundin von ihr beim Autofahren wegen all der angestauten Schuldgefühle über das Ende ihrer letzten Beziehung plötzlich in Tränen ausbrach.
„Ich kann es anhören und bei gut vier Liedern weinen“, erzählt Katy B über ihr neues Werk, „aber ich will immer noch etwas, wozu man tanzen kann“. Das ist gelungen: Es gibt hier zwar ein paar Filler, aber alles in allem wird Little Red eine sehr solide Pop-Platte, die Katy B viele neue Möglichkeiten eröffnet und die es beinahe folgerichtig erscheinen lässt, dass sie gerade mit Platz 1 in den UK-Charts belohnt wurde. Wer beklagt, dass dies der „Ausverkauf des Dubstep“ (oder zumindest dessen Domestizierung) ist, der verkennt, dass Katy B das Genre hier längst nur noch als eine von vielen musikalischen Möglichkeiten betrachtet.
Es gibt kaum Extreme in Tempo, im Sound oder in der Dubstep-typischen Tiefe der Bassfrequenz. Es gibt auch keinen besonderen musikalischen Wagemut. Stattdessen lebt die Platte von Melodien, von sehr gekonnten Kombinationen etablierter Elemente und – vielleicht der größte Triumph für Katy B – von der Stimme.
Katy B singt Crying For No Reason in der BBC Radio1 Live Lounge:
httpv://www.youtube.com/watch?v=vi63EZGuBr4