Hingehört: Kid Astray – „Home Before The Dark“

Künstler Kid Astray

Cover des Albums "Home Before The Dark" von Kid Astray
Großen Pop und Melancholie vereinen Kid Astray.
Album Home Before The Dark
Label Cosmos Music
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Man darf es als ein Zeichen von Selbstvertrauen interpretieren, wenn eine Band sich freiwillig zu einer so langweiligen Gründungsgeschichte bekennt. Benjamin Giørtz, Elizabeth Wu, Alex Meek, Even Steine, Håkon Carlin und Jakob Bechmann besuchten dieselbe Schule in Oslo, alle machten Musik, und 2010 wurden sie zu Kid Astray. „Es war wirklich relativ einfach. Wir kannten uns schon so lange, da hat es sich einfach entwickelt und irgendwann wurde die Band gegründet“, sagt Schlagzeuger Jakob Bechmann.

Das Debütalbum der sechs Norweger erscheint am Freitag in Deutschland, und Home Before The Dark beweist noch in einer weiteren Hinsicht erstaunlichen Mut: Der Song, der ihnen die erste Aufmerksamkeit in ihrer Heimat einbrachte (Eternal Gifts) ist hier gar nicht vertreten. Was eindeutig daran liegt, dass Kid Astray genug neue Hits haben.

Bester Beleg für ihre Produktivität ist The Mess, ein weiteres Schlüsselstück aus den frühen Jahren der Band. Als sich Kid Astray bei einem großen norwegischen Festival bewerben wollten, sollten sie dafür ein Demo einsenden. Statt einen bereits vorhandenen Song möglichst optimal aufzunehmen, schrieben sie in sechs Stunden ein neues Stück: The Mess. Es steht nun am Anfang des Debütalbums und bietet vom ersten Ton an eine betörende Wall Of Sound, Größe und Zuversicht.

Als wichtige Einflüsse bezeichnen sie unter anderem Foster The People, M83, Phoenix und Passion Pit. Wer also Popsongs mit Gitarrenfundament und Synthie-Sympathien erwartet, liegt genau richtig. Auch alle, die den Two Door Cinema Club mögen, dürften Songs wie beispielsweise Back To The Ordinary lieben. Wer solche Lieder macht, will so unbedingt ein Popstar sein, dass der im Text geäußerte Wunsch, wieder in eine ganz normale Person (zurück)verwandelt zu werden, kein bisschen glaubwürdig und noch weniger realistisch erscheint.

It’s Alright wird so unverschämt heiter, dass man fast an S Club 7 denken muss. Ganz eindeutig haben Kid Astray erkannt, dass in Popsongs nicht nur die Möglichkeit, sondern die Notwendigkeit zur Übertreibung besteht. „It’s alright / but soon it will be outta sight“, heißt der Refrain, vorgetragen von zwei ohnehin schon fröhlichen Stimmen, die sich in ihrem Optimismus noch gegenseitig zu bestärken scheinen.

Das Zusammenspiel von Männer- und Frauenstimme, das sich in einem ähnlichen Klanggewand beispielsweise auch bei The Naked And Famous als höchst effizient erwiesen hat, wird auch auf Home Before The Dark zu einem großen Pluspunkt. No Easy Way Out, mit einer stattlichen Dosis an Achtziger-Elementen, ist der beste Beweis dafür: Diese jungen Menschen singen einfach sehr gerne sehr schöne, noch lieber überschwängliche Melodien. „Wir sind mittlerweile eher eine Pop- als eine Indie-Band“, erklärt Jakob, der gemeinsam mit Benjamin Giørtz den größten Teil der Lieder schreibt, ganz unverhohlen. „Wir schreiben Popsongs. Der Indie-Touch entsteht erst während der Produktion.“

Dazu kommt noch eine große Stärke: Songs wie Day In June versuchen ganz offensichtlich, das himmelstürmende Element von großen Popsongs mit einem Hauch von Melancholie zu erden. Dieses Konzept erinnert an die Wombats, und deren Bassist Tord Øverland Knudsen hat in Liverpool tatsächlich eine der beiden EPs von Kid Astray produziert, die diesem Album vorausgingen, und auch bei drei Songs an den Texten mitgeschrieben. Still Chasing Nothing ist einer davon, und auch hier erweist sich der mitreißende Refrain vor allem als eine geeignete Medizin, um die eigene Mutlosigkeit zu überwinden.

Walking zeigt ebenfalls: Kid Astray wollen Pop sein, aber nicht (zu sehr) Plastik. In Cornerstone wird der Sound etwas reifer, mit dem komplexen Not A Kid Anymore beweisen die Norweger, dass sie nicht nur Schema-F-Indiepop können.

Das sind wichtige Elemente der Abwechslung inmitten des „Yeah, wir sind happy in der Indie-Disco“-Sounds. Freilich hat Home Before The Dark, größtenteils produziert von Joe Cross (Hurts), auch ein unverkennbares Qualitätsgefälle. Fast alles ist mindestens gut, die besten Songs sind umwerfend, aber einigen Stücken fehlt das gewisse Etwas. Diver könnte man als Beispiel anführen, das klingt, als würden Alphabeat versuchen, einen Song der White Lies zu erobern. „You need to step out of your comfort zone”, singen Kid Astray in No Easy Way Out. Wenn sie das auch selbst noch öfter beherzigen, dürfte das zweite Album noch besser werden.

Happy in der (sehr unglamourösen) Indie-Disco sind Kid Astray auch im Video zu The Mess.

Kid Astray bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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