Künstler | Diverse | |
Album | King Kong Kicks – The Early Days | |
Label | Unter Schafen Records | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Einen besseren Auftakt für diesen Sampler als Transmission von Joy Division könnte es nicht geben. Der Song aus dem Jahr 1979 steht nicht nur chronologisch am Anfang der Entwicklung, die hier nachgezeichnet wird: Er ist auch kaputt, tanzbar und innovativ – und sein Ausgangspunkt ist der Schmerz. Damit ist das Stück prägend für alles, was auf The Early Days versammelt ist.
Wie einflussreich diese Kombination war, wird später etwa in An Honest Mistake von The Bravery deutlich, das kurz Blue Monday (also einen Hit der Joy-Division-Nachfolgerband New Order) heraufbeschwört und ebenfalls zeigt, wie effektvoll sich Elektronik und Gitarre vereinen lassen. Auch Things We Never Did von Sad Lovers & Giants aus dem Jahr 1996 zeigt die Verwandtschaft und dauerhafte Attraktivität des Sounds, den die Macher dieser Compilation mit dem Untertitel Post Punk, New Wave, Brit Pop & Beyond (1980 – 2010) versehen haben.
Diese Macher sind die Leute hinter King Kong Kicks. Die wunderbare Indie-Discoreihe hat seit 2014 einen Ableger namens The Early Days, in dem die Platten der Gründungsväter der Bewegung auf den Tanzflächen der Republik noch einmal zu Ehren kommen oder Kontinuitäten nachgespürt wird. „Ob New oder No Wave, Synth, Brit oder Indie Pop, Art, Avant oder Post-Punk – nennen kann man diese Musik, wie man eben mag, doch eines, das bleibt stets gleich: das (Lebens-)Gefühl, für das sie stand, steht und das sie generationsübergreifend noch immer zu vermitteln schafft“, schreibt Max Gruber alias Drangsal in den Liner Notes. „Irgendetwas ist da, dieser große Moment, wenn Melancholie, Wut und Ekstase sich in und durch Klang vereinen, durchs Mark jagen und die Gelenke zum Zappeln zwingen.“
The Early Days bietet gleich 23 solcher Momente, und in der Tat zeigt die sehr treffsichere Auswahl praktisch alle Facetten, die man sich zu den oben genannten Genres (ab jetzt einfach in Kurzform: Indie) vorstellen kann. Indie ist gewagt und eigenwillig (Berühren von Profil), vereint inspiriert vom Mut des Punk vielfältige Einflüsse (Blaue Augen von Ideal), kann verspielt, intelligent, komplex, individuell und auch ein wenig elitär werden (Two Steps, Twice von Foals), hat Lust auf Theatralik und Ironie (Serious von UV-Pop), weiß auch heute noch, wie man Avantgarde macht (Crimewave von Crystal Castles) und lockt gelegentlich auch Blender mit Lust auf Pseudo-Dramatik an (All Sparks von den Editors).
Acht Lieder sind im Booklet mit Anmerkungen von Fans, DJs oder den Musikern selbst versehen. Dazu gehört The Cures Jumping Someone Else’s Train. Randy Fischer aus dem Chemnitzer Club Atomino erinnert sich dazu an Musikkassetten und ein geklautes Poster aus der Bravo (dazu zeigt der Song weitere Indie-Charakteristika, nämlich Lust auf Pop und den selbstbewusst gepflegten Gestus als Außenseiter und Nerd). Outdoor Miner von Wire fügt dem eine Sehnsucht nach den Sixties hinzu, als die Musik noch so viel besser und vor allem so viel wichtiger im Leben der Menschen war. Aydo Abay führt in seinen Anmerkungen dazu passenderweise Assoziationen wie Pink Floyd oder The Beatles auf und stellt fest: „Die Platte wirkt auch nach fast 40 Jahren frisch, denn sie hat nichts von ihrem Glanz verloren. Kompromiss- und zeitlos schön.“
Besonders amüsant ist der Hinweis von Jan Müller (Tocotronic), man müsse LPs von Bauhaus (hier vertreten mit She´s In Parties) nur bei 45 RPM abspielen, um sie wie die Dead Kennedys klingen zu lassen. Gitarrist Nick Clift von Ski Patrol liefert derweil ein paar Hintergründe zu Agent Orange, aufgenommen im Sommer 1980, das er treffend als „a chilling observation of the banality of war and the horrific use of chemical defoliants in Vietnam“ charakterisiert.
Man kann The Early Days auch ganz ohne das Booklet tatsächlich als so etwas wie eine Indie-Geschichtsstunde begreifen. Zu den Höhepunkten gehören No Tears von Tuxedomoon, unerbittlich und nahe am Wahnsinn, das mitreißende und trotzdem widerborstige Fake Boys von The Robocop Kraus und natürlich der Klassiker Where Is My Mind von den Pixies, das es auch in diesem Kontext schafft, verzweifelt, schräg, und verloren zu klingen, zugleich aber hymnisch und tröstlich.
Senta Best von Intro erklärt diese Wirkung sehr plausibel: „Wie soll man ohne eine regelmäßige Dosis Mind-Verlust in dieser täglich irrer werdenden Welt überhaupt noch klarkommen? (…) In diesem wahnsinnigen Leben wird das Ding jedenfalls nicht mehr an Aktualität verlieren.“ Auch der Beitrag von The Faint aus dem Jahr 2008 ist ein Highlight, cool, ausgefallen und eingängig. Zudem hätte der Titel des Songs auch bestens als Überschrift des ganzen Samplers getaugt: The Geeks Were Right.