Hingehört: Kings Of Leon – „Aha Shake Heartbreak“

Mit "Aha Shake Heartbreak" schreiben die Kings Of Leon ein Tagebuch des Luderlebens.
Mit „Aha Shake Heartbreak“ schreiben die Kings Of Leon ein Tagebuch des Luderlebens.
Künstler Kings Of Leon
Album Aha Shake Heartbreak
Label RCA
Erscheinungsjahr 2004
Bewertung

Eine Menge hatte sich geändert, als die Kings Of Leon vierzehneinhalb Monate nach ihrem Debüt ihr zweites Album Aha Shake Heartbreak vorlegten. Die Bärte waren ab („Das stört beim Knutschen“, lautet die Begründung von Sänger Caleb Followill). Alle vier Bandmitglieder waren von Tennessee nach New York gezogen. Und sie hatten, nicht zuletzt, gemeinsam mit den Strokes die Rockwelt auf den Kopf gestellt.

Bevor diese beiden Bands ihren Siegeszug angetreten hatten, bestand die Rockmusik des neuen Jahrtausends vor allem aus Nu-Metal-Kaspern und Weicheiern wie Starsailor. Dann kamen zuerst die Strokes, dann – als das noch wildere, bedrohlichere Pendant zu deren urbanem und reflektiertem Style – die Kings Of Leon, und plötzlich war Gitarrenmusik wieder sexy und im Reinen mit ihrer eigenen Vergangenheit.

Noch etwas hatte sich damit beim Erscheinen von Aha Shake Heartbreak geändert: Die Kings Of Leon waren nicht mehr „die Ramones aus dem Heustadel” (Rolling Stone) und ihre Musik musste sich nicht mehr erst über reflexartig vorgetragene Retro-Bedenken hinwegsetzen. Ihr Style war jetzt modern und ihre Lieder waren der Sound der Stunde. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an den Nachfolger zum epochalen Youth & Young Manhood. Doch Caleb, Nathan, Jared und Matthew Followill machen sich hier einen Riesenspaß daraus, aus der Messlatte einfach eine Pole-Dance-Stange zu machen.

Man muss sich dazu vielleicht noch einmal vor Augen führen, dass die Followill-Bande eine fast puritanische Jugend durchlebt hat, fern von allen Ausschweifungen. Die Rolling Stones oder Led Zeppelin durften im Autoradio nur gehört werden, wenn die Mama schlief, Frauen und Drogen waren erst recht tabu bei den Rundreisen durch die Südstaaten mit Leon, dem Wanderprediger und Patron der Familie. Da hat sich wohl einfach ein enormer Triebstau gebildet, den das Quartett erst mit dem Debütalbum und dann auf einer ausschweifenden Tournee entlud.

„Da ist alles drauf, was wir in den letzten Monaten so aufgelesen haben. Die Musik, die wir gehört haben, die lange Tour, die Mädchen, die wir getroffen haben, und die Freundschaften, die wir geschlossen haben“, umreißt Caleb Followill die Inhalte. Das ist ein bisschen untertrieben: Aha Shake Heartbreak trieft von Hormonen, Sex und Alkohol. Es ist ein Tagebuch des Luderlebens, und genau das macht es so reizvoll. „Es ist schon erstaunlich, wie die drei Brüder Caleb, Jared und Nathan Followill, die bis zu ihrem 14. Lebensjahr keine Berührung zur Popkultur hatten (…), so schnell ins Rockstarklischee hineingewachsen sind“, schrieb der Rolling Stone zum Erscheinen dieses Albums treffend. Für die Kings Of Leon und alle altmodischen Musikfans war damit nichts weniger als ein Traum wahr geworden: Sie waren der lebende Beweis, dass es noch leibhaftige Rockstars gab.

Der Opener Slow Night, So Long verströmt von Beginn an die ultimative Lässigkeit, dann setzt nach 40 Sekunden diese Wahnsinnsstimme ein, der Bass demonstriert eine fast kindliche Freude, das Schlagzeug ist subtil im Mix platziert, hat am Schluss aber trotzdem Monsterkraft. King Of The Rodeo, eine von drei Single-Auskopplungen, klingt ursprünglich, ist aber kein bisschen primitiv – und die zentrale Zeile „let the good times roll“ könnte die Überschrift für ihre ganze Karriere sein, nicht nur damals, sondern bis heute. Auch Razz hat diesen Effekt, den man auch bei den Hives beobachten kann: Das klingt nach purer, vielleicht plumper Energie, ist aber hoch komplex.

Pistol Of Fire ist so knochentrockener Südstaatenrock, dass ZZ Top dagegen aussehen wie Sponge Bob nach einem Bad im Mississippi. In The Bucket, das nicht nur Drive hat, sondern Raketenantrieb, reichen schon die ersten sechs Sekunden aus, um sich neu in Rockmusik zu verlieben. Taper Jean Girl ist getrieben von purem Testosteron; die Kings Of Leon sind hier cool und promisk wie die Strokes, aber bei den Followills muss man glauben: Sie vernaschen ihre Groupies nicht in schicken Lofts, sondern gleich an Ort und Stelle, an der Wand auf dem Weg zur Garderobe. Zweimal.

Als „the best follow-up LP since The Smiths’ Meat Is Murder“ hat der NME diese Platte (wenn auch erst ein paar Monate nach deren Erscheinen) gepriesen, und man findet hier reichlich Belege dafür. Four Kicks ist Southern-Style-Punkrock, Velvet Snow wird unwiderstehlich, ein einziger Rausch von Jugend, Glück, Freiheit und nicht zuletzt Geschwindigkeit.

Ein ziemlich unerhörter, naja, Höhepunkt ist auch Soft: Die Kings Of Leon haben damit tatsächlich ein Lied über Erektionsprobleme gemacht („Auch die Brüste der schönsten Frauen stinken manchmal“, erklärt Caleb dieses Phänomen). Der Humor, der daraus spricht, steckt auch in den ungewöhnlichen Bongos, die das Lied antreiben, und in den letzten Gitarrentönen des Tracks, die so etwas wie die akustische Entsprechung eines verschrumpelnden Penis werden.

Kaum zu fassen ist, auch ein Jahrzehnt nach Erscheinen dieses Albums, wie sehr die Platte (ebenso wie der Vorgänger) nach einem Klassiker klingt. Sie „nehmen (…) ihre Musik freiwillig so auf, wie man das in den sechziger Jahren unfreiwillig gemacht hat, weil es technisch nicht anders ging. In Wahrheit klingen sie nicht live wie auf Platte, sondern auf Platte wie live“, schrieb der Rolling Stone in einer Konzertkritik über die Kings Of Leon, und diese Erkenntnis kann man hier nur unterstreichen. Es mag daran liegen, dass Aha Shake Heartbreak mit dem Mischpult aufgenommen wurde, das schon die Beatles in der Abbey Road benutzt hatten. Oder an den Fähigkeiten von Produzent Ethan Johns, der sich zuvor bei Ryan Adams und danach etwa mit den Vaccines als bekennender Traditionalist erwiesen hatte.

Der auffälligste Unterschied zum Debüt ist, dass Aha Shake Heartbreak sich auch Passagen der Kontemplation gönnt. Nach einer knappen Viertelstunde des Albums wird mit Milk ein Track eingestreut, der plötzlich weitgehend akustisch ist, sensibel und weise wie ein indianisches Klagelied. Day Old Blues funktioniert später ganz ähnlich und zeigt: Die Kings Of Leon sind (auch wenn sie gerne mal jodeln) nicht bloß oberflächliche Hinterwäldler, die sich nun in der großen weiten Welt austoben. „War das erste Album ein halsbrecherischer Ritt durch den Rock’N’Roll, so ist dieses Werk lauernd, lasziv und gefährlich wie ein Ding aus den Sümpfen“, hat der Rolling Stone wohl auch wegen solcher Momente über die Platte geschrieben.

Mit Rememo gibt es einen ebenfalls in diese Reihe passenden, würdigen Schlusspunkt. Es ist ein Lied, das kein Glück kennt, sondern nur Sehnsucht, ein Loch in der Seele und die Erkenntnis: Es muss da noch mehr geben als Party, Schnaps und Weiber. Der Track zeigt damit auch: Die Kings Of Leon wollen noch mehr, sie kennen – bei allem Erfolg und Amüsement – keine Zufriedenheit, und damit auch keine Selbstzufriedenheit, die sich auf den späteren Alben der Followills gelegentlich einschleichen sollte. Aha Shake Heartbreak trägt davon noch keine Spur, es ist annähernd makellos. Oder, wie es der NME formulierte: “Kings Of Leon have emerged from the other side of their Youth & Young Manhood as the most beguilingly brilliant Rock’N’Roll band on the planet.”

Hinter dem Schlagzeug gibt es doch noch einen Bart: Die Kings Of Leon spielen The Bucket bei Jools Holland.

httpv://www.youtube.com/watch?v=zVG14DAOl38

Homepage der Kings Of Leon.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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