Künstler | Kings Of Leon | |
Album | Mechanical Bull | |
Label | RCA | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
„I walked a mile in your shoes“, singt Caleb Followill in Comeback Story, dem achten Lied auf diesem Album. Es ist ein Satz, der mächtig Spannung aufbaut. Was folgt danach, welche Erfahrungen hat er gemacht durch den Perspektivwechsel, durch das Hineinversetzen in eine andere Person, durch die bewusste Entscheidung zur Empathie? „Now I’m a mile away / and I got your shoes“, heißen die nächsten Zeilen. Das ist ein grandios nüchterner No-Bullshit-Vers. Die Botschaft lautet: Es ist nicht alles kompliziert, es gibt keine tiefere Ebene, es gibt nicht tausend Dimensionen. Es gibt nur das, was man ist, und das, was man tut – und das ist es auch, worauf es ankommt.
Noch in einer anderen Hinsicht ist die Zeile bemerkenswert für dieses Album. Denn nicht zuletzt kann man aus dem Aufbauen von Fallhöhe und der rotzig-lakonischen Fortsetzung auch so etwas wie Humor herauslesen – nicht gerade eine Eigenschaft, die man zuletzt mit den Kings Of Leon in Verbindung brachte, die unlängst sogar blasiert genug waren, ein Konzert abzubrechen, weil ein paar Tauben auf die Bühne (und auf die Musiker) geschissen haben. Comeback Story zeigt, dass die Band mit dem sechsten Album ihre Gelassenheit wieder gewonnen hat. Fast alles auf Mechanical Bull klingt wieder wie aus dem Ärmel geschüttelt, nicht wie am Reißbrett konzipiert.
Noch etwas fällt sofort auf: Die stolze Rückkehr und die trotzige Selbstvergewisserung sind wichtige Motive auf Mechanical Bull, nicht nur in der oben erwähnten Comeback Story. „Cuz it’s always the same / and I’m always the same“, heißt es beispielsweise in Don’t Matter, zu bratzigen Gitarren und einem Schlagzeug, das wie eine Todesmaschine klingt. „I can feel it coming back again“, wird im originellen Coming Back Again immer wieder betont, und im folgenden On The Chin ist dann spätestens mit der Zeile „I’ll take it on the chin for you“ auch das Gefühl vom unverbrüchlicher Kameradschaft und allgegenwärtiger Gefahr wieder da, das dieses Quartett zum Beginn seiner Karriere ausgemacht hat. Das Lied ist eine Wüstenballade, wie sie Creedence Clearwater Revival auch nicht besser hingekriegt hätten, verträumt, abendrot und romantisch.
Es gibt viele Gitarrensoli auf Mechanical Bull, auch ein paar schwächere Momente (Wait For Me plätschert etwas dünn dahin; Family Tree hat jenseits von markantem Bass und herrlich altmodischem Harmoniegesang nicht viel zu bieten), aber es gibt kein Geprotze und vor allem – im Gegensatz zu den letzten Kings-Of-Leon-Platten – keine überflüssige Politur. Das Album wird wirklich immer besser, je öfter man es hört – bei den letzten Werken der Followills musste man noch versuchen, sich diesen Effekt einzureden, bis man dann erkannte, dass es doch nicht funktionierte.
Dass es diesmal anders ist, liegt auch an etlichen Hits. Die Single Supersoaker (geiler Songtitel!) vereint den Sturm und Drang von Bruce Springsteen mit dem Mief des Landlebens, die Gitarren sind feurig und schnell wie einst bei Youth & Young Manhood, das Schlagzeug ist unbarmherzig und der Refrain ist famos. Wenn Caleb Followill, immerhin Spross einer Predigerfamilie, sein „I don’t believe it“ herausschreit, dann klingt es tatsächlich, als ob sich dieser Satz nicht nur auf die amouröse Flüchtigkeit bezieht, um die es in dem Track wohl geht, sondern auf alles.
„I was running through the desert / I was looking for drugs / And I was searching for a woman who was willing to love” (geiler Start!) beginnt Rock City, das nicht nur die Lässigkeit und Selbstverständlichkeit ausstrahlt, die man zuletzt an den Kings Of Leon vermisst hatte, sondern auch ihren Swagger zurückbringt. Das famose Temple hat ein Riff, bei dem jedem Kings-Of-Leon-Fan der ersten Stunde das Herz aufgehen muss, einen schönen Drive und den besten Refrain der Platte.
Beautiful War ist vom ersten Wort an ganz stoisch und doch nicht ganz in der Lage (und willens), die Leidenschaft zu leugnen, die dieser Trennungsszene zugrunde liegt, und die Zeilen „love don’t mean nothing / unless there’s something worth fighting for“ zu glauben. Das Ergebnis ist eine erstaunliche Schnittmenge aus U2-Pathos und Rolling-Stones-Coolness. Auch Tonight setzt auf die ganz große Geste, hat aber genug Herzblut, um sogar einen Bon-Jovi-Chor, mächtig viel Drama und einen Gesang zu rechtfertigen, der wie die Stimme eines Besessenen klingt.
Dass sogar die Bonus Tracks der Deluxe Edition bestens funktionieren, ist ein weiterer Beweis für den kreativen Aufschwung. Work On Me konzentriert sich auf das Nötigste, und doch gibt es nichts, was diesem Song fehlt, der ebenfalls von der Besinnung auf die wahren Werte, auf das Früher, das Sich-treu-Bleiben und das alte Ich handelt, das trotzdem nicht einer Weiterentwicklung im Wege stehen muss. Last Mile Home wird, der Titel lässt es erahnen, wunderbare Autofahrmusik und zeigt (gerade weil hier im Hintergrund so viel passiert), wie sehr die Stimme von Caleb Followill den Sound der Band nach wie vor dominiert.
„It’s loose and down to earth“, hat der Rolling Stone über Mechanical Bull geschrieben, und dieses Urteil, das eigentlich auf Halbherzigkeit hindeuten könnte, muss im Kontext der letzten Alben der Followill-Bande als ein Kompliment betrachtet werden. Mit dieser Platte schaffen es die Kings Of Leon, die Rotzigkeit der Anfangsjahre mit der Stadiontauglichkeit der jüngeren Vergangenheit zu vereinen, wie der Rolling Stone in einem schönen Bild ebenfalls anerkennt: „You can imagine them bashing it out in a shed, albeit a very large one.“
Nicht auf Mechanical Bull, aber so genial, dass es hierhin gehört: Die Kings Of Leon covern Robyn:
httpv://www.youtube.com/watch?v=aQ-vU28uPb0