Künstler | Kraftklub | |
Album | In Schwarz | |
Label | Vertigo | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so sehr auf eine Platte gefreut habe. Es muss die Zeit gewesen sein, als ich noch ein Auto mit einem Tapedeck hatte und meine jeweils aktuellste Lieblingsplatte dann flugs auf Kassette überspielen musste, um sie unterwegs hören zu können. Laut. Immer wieder.
Mit ihrem Debüt Mit K hatten Kraftklub (geiler Name, übrigens) einfach alles richtig gemacht. Die Platte war arschcool und brandaktuell, sie hatte keine Scheu davor, eine Botschaft zu haben, und auch keine Angst, über sich selbst zu lachen. Und sie war voller gottverdammter Hits. Sie war so gut, dass ich mir beinahe wieder ein Auto gekauft hätte, und zwar eins mit Tapedeck. Die drei, vier Gelegenheiten, bei denen ich Kraftklub danach live erlebt hatte, steigerten meine Begeisterung noch. Das zweite Album konnte ich schon vor einem knappen Jahr kaum noch erwarten. Das war nicht nur Vorfreude. Das war Hunger. Gier.
Zugleich war mir auch klar: Kraftklub konnten mit dem Nachfolger eigentlich nur alles falsch machen. Würden sie dem Sound von Mit K treu bleiben, also noch einmal dasselbe in Grün (oder eben: In Schwarz) abliefern, würde man ihnen wohl vorwerfen, sie seien ein One-Trick-Pony und hätten in den zweieinhalb Jahren zwischen den beiden Alben nichts dazu gelernt. Würden sie mit ihrer Masche brechen (Kraftklub akustisch! Kraftklub elektronisch! Kraftklub auf Englisch! – all das wären denkbare Horrorszenarien gewesen), verlören sie wahrscheinlich genau den Charme, mit dem sie im ganzen Land die Herzen der Musikfans (auch meins) in Brand gesetzt hatten.
Vor diesem Hintergrund ist In Schwarz zunächst eine Erleichterung. Felix Brummer (Gesang), Karl Schumann (Gitarre, Gesang), Maximilian Marschk (Schlagzeug), Steffen Israel (Gitarre) und Till Brummer (Bass) haben sich nicht selbst verleugnet. Von der ersten Sekunde an sind Kraftklub wiederzuerkennen. Ihr zweites Album hat fast alles, was auch das Debüt so umwerfend machte: Hammer-Gitarren, feine Melodien, reichlich Wucht, die berühmten Popkultur-Anspielungen und viele gute Ideen. Die Musik auf In Schwarz ist durchweg spannend, es gibt keinen Moment des Leerlaufs und jede Menge Stoff zum Mitsingen.
Das Problem ist zum einen, dass diesmal (gezwungenermaßen) der Überraschungseffekt fehlt, der auf Mit K auch dafür gesorgt hat, dass man die wenigen Passagen, die nicht genial waren, trotzdem genial fand. Zum anderen macht In Schwarz deutlich, wie ikonisch der Kraftklub-Sound innerhalb der vergangenen zwei Jahre geworden ist. Kaum ein Festival, kaum eine Partynacht, kaum eine Klassenfahrt kam ohne diese Lieder aus, sie waren unkaputtbar, aber omnipräsent. Beides zusammen musste einen gewissen Abnutzungseffekt zur Folge haben, und in der Tat haben einige der neuen Lieder nun einen Beigeschmack von Schema F. Man hatte als Fan als Gefahr für dieses Album vielleicht das Prinzip „zu wenig Kraftklub“ befürchtet. Was man nun kriegt, ist tatsächlich etwas, das man niemals als Manko für möglich gehalten hätte: eine Überdosis Kraftklub.
Für Immer ist so ein Fall. Die Idee (Thema: Man kann sich auch einreden, dass es Spaß macht, verlassen worden und wieder Single zu sein!) ist originell, die Attitüde ist herrlich uneitel, aber diese Art von Vollgas-Riff-O-Rama à la The Hives hat man schon ein bisschen zu oft gehört. Blau, das von Suff-SMS handelt, funktioniert glänzend als Geste der Verbrüderung mit den Fans (Motto: Haben wir das nicht schon alle erlebt?), ist aber als Song enttäuschend. Mein Rad wirkt sogar blasiert (zumindest, bis die Pointe kommt) und krankt zudem an einem schlechten Refrain.
Die Schüsse In Die Luft feuern Kraftklub leider nur mit Platzpatronen ab. Sie haben in diesem Song reichlich Wut im Bauch, sogar auf die richtigen Sachen, nämlich auf das Konzept, das Dummheit und Ignoranz cool sein könnten („Sich über alles und jeden lustig machen ist cool, aber die eigene Haltung erkennbar machen ist mindestens genau so cool“, sagt Felix Brummer dazu). Aber die Musik ist auch hier etwas lahm und eine Spur zu kalkuliert. Meine Stadt Ist Zu Laut wirkt wie eine mittelmäßige Selig-Nummer (deren Christian Neander wird im Booklet passend dazu als „Leihgabe“ genannt, was auch immer das bedeuten mag). Das krawallige Hand in Hand entwickelt eine gefährliche Nähe zu Tote-Hosen-Fahrwasser.
Natürlich haben die Chemnitzer nach wie vor auch ein paar Trümpfe im Ärmel. Alles Wegen Dir ist ein Kracher, ein großartiges Liebeslied ohne eine Spur vordergründiger Romantik. Das ironische Schöner Tag klingt musikalisch wie die härteste Ausprägung der Arctic Monkeys, textlich wie die inspirierteren Momente der Ärzte, dazu gibt es noch einen Gastauftritt von Casper. Deine Gang, mit dem sie als Schlusspunkt des Albums nach einer ziemlich langen Durststrecke noch die Kurve kriegen, ist ein famoses Hohelied auf die Magie der Clique. Weit Weg, einer von drei Bonus-Tracks auf der Deluxe Edition von In Schwarz, thematisiert nonchalant die Schwierigkeit, auf Tour eine Beziehung aufrecht zu erhalten, passt aber auch für jede beliebige Fernbeziehung.
Die größte Stärke dieses Albums ist allerdings Kraftklubs enorm gewiefter Umgang mit dem neuen Status als Band mit Verkaufszahlen auf Platin-Niveau. Bestes Beispiel dafür ist die Single Unsere Fans, zugleich Opener des Albums. Am Anfang steht ein ganz simpler Beat, dann folgt ein Räuspern – und schon ist ein Gefühl von Bodenständigkeit, Understatement, Unmittelbarkeit und Authentizität hergestellt. Was dann folgt, ist ein Mega-Hit, unverwechselbar Kraftklub, und zugleich die Erkenntnis: Selten ist jemand so schlau und frech mit dem Sellout-Vorwurf umgegangen. Auch der irre witzige Mitschnitt Vorm Proberaum zeigt sehr clever: Wir wissen, wo wir herkommen, nämlich aus einer Region, die das exakte Gegenteil von Ruhm, Erfolg und Glamour ist.
Der Clou dabei ist das für Rockmusik untypische Eingeständnis: Wir sind unvollkommen. Kraftklub verweisen in den Texten von In Schwarz immer wieder auf ihre Schwächen, Fehltritte und Defizite. Sie schaffen es, sich den Charme der Verlierer zu bewahren, auch mit einem Nummer-1-Album im Gepäck. Das kann sich auf der alltäglichen Ebene abspielen wie im funky Gestern Nacht („Die beste Nacht meines Lebens / und ich habe sie verpasst.“). Oder in Wie Ich dazu führen, dass der Zweifel am eigenen Selbstbild ausgerechnet mit einer Musik vertont wird, die maximal kraftvoll und selbstbewusst ist. Oder es kann in Irgendeine Nummer die Konstellation von Zu spät aufgreifen, aber ohne den trotzigen Stolz, sondern eher liebeskrank, leidend und bedürftig.
Es kann aber auch ganz explizit die Glitzerwelt aufs Korn nehmen wie Zwei Dosen Sprite. Kraftklub betonen darin: Auch als Rockstars sind wir kein Establishment, gehören nicht dazu. Mehr noch: Wir wollen nicht dazugehören. „Die Typen im Spiegel sind hässlich / aber immer noch wir“, lautet ihre Quintessenz. Und ihr Bekenntnis zum Dasein als Underdog kann auch mal ganz grundsätzlich werden, beinahe politisch: „Ich war nie Anti-Alles, ich war immer Anti-Ihr.“ Es sind Zeilen wie diese, die nach wie vor nur Kraftklub hinbekommen – und dass diese Zeilen von ihnen nach wie vor glaubwürdig klingen, ist vielleicht die größte Leistung von In Schwarz.