Künstler | Lana Del Rey | |
Album | Honeymoon | |
Label | Capitol | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Ein wenig verwunderlich ist der phänomenale Erfolg von Lana Del Rey noch immer. 8,5 Millionen Exemplare wurden von Born To Die verkauft, der Nachfolger Ultraviolence stieg in zwölf Ländern direkt auf Platz 1 der Charts ein. Und all das, obwohl ihr Sound eigentlich ungeeignet ist für die klassischen Pop-Konsumption. Man kann nicht tanzen zu dieser Musik, sie euphorisiert nicht, auch Mitsingen und Autofahren sind nicht gerade der passende Kontext. Nicht einmal die Sehnsucht, diese Lieder unbedingt einmal live zu hören, macht sich breit.
Hört man Honeymoon an, das gerade erschienene vierte Album der 30-Jährigen, muss man sich mehr denn je fragen: In was für ein Umfeld passt diese dekadente, glamouröse, immer auch ein wenig morbide Musik eigentlich? In welcher Situation wäre man der ideale Hörer dafür (wenn man nicht gerade eine Yacht, einen Butler und einen ausgewachsenen Kater von der Nacht zuvor zur Hand hat)?
Freundlicherweise beantwortet Lana Del Rey diese Frage für uns. Music To Watch Boys To heißt einer der Songs auf Honeymoon, er ist opulent, und doch bloß wie hingehaucht – und damit typisch für die gesamte Platte. „Ich habe ein anspruchsvolles Ohr im Hinblick auf meine eigene Ästhetik und was ich selbst so hören möchte“, sagt die selbsternannte „Gangsta Nancy Sinatra“. In der Tat ist es die Aufmerksamkeit fürs Detail, die sie hier gemeinsam mit Songwriting- und Studiopartner Rick Nowels an den Tag legt, die Honeymoon einen großen Teil seiner Klasse verleiht.
Der noch wichtigere Faktor ist die schiere Ungewöhnlichkeit dieser Musik. Nicht nur angesichts der Tatsache, dass diese Songs eigentlich nicht ins Radio, in den iPod oder in die Charts passen, sondern auch im Hinblick auf die musikalischen Mittel. Honeymoon ist ein geradezu unerhörter Auftakt, vor allem im Pop-Kontext: Es gibt keinen Beat, keine Unmittelbarkeit, ein Refrain ist auch nur mit viel Aufmerksamkeit auszumachen. Dafür regieren fast klassische Streicher und immer wieder Gesang, der beinahe acappella bleibt.
The Blackest Day zeigt, dass nach wie vor niemand so schön das Reh im Scheinwerferlicht geben kann wie Lana Del Rey. Terence Loves You ist toll gesungen und baut ein Space Oddity-Zitat ein. 24, das beste Lied des Albums, zeigt wie skandalös es ist, dass sie noch immer keinen Bond-Song singen durfte. Freak ist grandiose Rummach-Musik (vielleicht ist das dann doch der perfekte Kontext für diese Lieder), in Burnt Norton (Interlude) darf sie T.S. Eliot rezitieren.
Freilich muss man auch sagen: Es ist sehr leicht, diese Lieder schön zu finden, aber es ist schwer, dieses Album aufregend zu finden. Mit dem misslungenen Exotismus von Salvatore (das eine schwer erträgliche Schlager-Schlagseite bekommt) und dem langweiligen Swan Song gibt es zwei Ausfälle auf Honeymoon. Der Wunsch, so etwas wie eine Weiterentwicklung nicht im Sinne von noch mehr Konsequenz, sondern im Sinne von neuen Gefilden zu entdecken, den man schon als Hörer von Ultraviolence verspüren konnte, macht sich auch hier breit. Stattdessen gibt es Kontinuität, nicht nur stilistisch. „Der Anfangspunkt des Albums war das Ende der letzten Studiotermine. Komischerweise war ich damals überhaupt nicht müde oder ausgelaugt. Im Gegenteil: Ich war voller Inspiration – ich wollte direkt weitermachen“, sagt Lana Del Rey.
Es ist die Einzigartigkeit ihres Sounds, die über solche Passagen hinweghilft. Kaum ein aktueller Künstler hat so gut das Wesen von Pop verstanden und in sein Werk integriert wie Lana Del Rey, beweist auch diese Platte. „You’re so / Art Deco“, singt sie in Art Deco, und mit diesen fünf Wörtern bringt sie perfekt auf den Punkt, was die Essenz davon ist, auch im Hinblick auf ihre eigenen Karriere: Stil und Inhalt, Person und Image verschmelzen. In Religion beweist sie, dass sie auch die wichtige Kunst der Übertreibung verstanden hat („You’re my religion“, lautet das Bekenntnis, später „Hallelujah, I need your love“). In God Knows I Tried macht sich existenzielle Verzweiflung breit, die vielleicht auch bloß gut geschauspielert ist, auf jeden Fall aber spektakulär.
Das Changieren zwischen Authentizität und Plastik, Autobiografischem und Zitat prägt ihr Werk auch hier auf höchst faszinierende Weise. Dass sie um die Wichtigkeit von Geheimnissen weiß, zeigt sich auch im Booklet von Honeymoon: Bei fast allen Liedern stehen nur einzelne Zeilen statt dem kompletten Text, es gibt auch kein übliches „Thank you“ auf der letzten Seite, nicht mal einen Hinweis auf eine Website irgendwo auf der CD. Auch, wenn sie jede Woche in irgendeiner Klatsch-Zeitschrift zu sehen ist, soll da wohl ein Rest von Mysterium bleiben.
Ein Highlight, das zu diesem Spiel mit Image, Klischee und Inszenierung passt, ist die Single High By The Beach. „All I wanna do / is get high by the beach“, singt Lana Del Rey, und nur durch ihren Status als Popstar bekommen diese Zeilen all ihre Dimensionen. Man weiß als Hörer: Vielleicht ist Lana Del Rey unglücklich genug, um sich tatsächlich ein solches Lebensziel zu wünschen. Aber sie ist eindeutig zu schlau, um solch ein Ziel tatsächlich zu verfolgen – und genau das macht den Song so sexy.
Am Ende gelingt mit Don’t Let Me Be Misunderstood eine spannende und souveräne Interpretation des Nina-Simone-Songs und ein Ausrufezeichen hinsichtlich des Anspruchs, den Lana Del Rey seit Beginn ihrer Karriere verfolgt: nicht aktuell zu sein und nicht retro, sondern zeitlos.
Der Albumsampler zu Honeymoon.
https://www.youtube.com/watch?v=_o6li4FdaF0