Lana Del Rey – „Lust For Life“

Künstler Lana Del Rey

Lust For Life Lana Del Rey Kritik Rezension
Mehr Zuversicht: Lana Del Rey entdeckt die „Lust For Life“.
Album Lust For Life
Label Vertigo
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Was hatte man nicht alles erwartet für das fünfte Album von Lana Del Rey. Sie habe Trap für sich entdeckt, hieß es. Sie wolle mehr gutgelaunte Songs machen. Sie strebe nach einem Sound, der weniger Kalifornien und „mehr New York“ sei, hatte die 32-Jährige selbst gesagt. Was vor dem heutigen Erscheinen von Lust For Life wohl niemand erwartet hätte: Lana Del Rey ist politisch geworden.

Natürlich nicht in dem Sinne, dass die erneut mit Langzeitproduzent Rick Nowels entstandene Platte lupenreine Protestsongs enthielte. Aber in Zeiten, in denen praktisch alle weiblichen Popstars aus ihrer Liga bloß darüber singen, wie viel Geld sie haben, wie heiß sie sind oder wer sie alle mal gern haben kann, sind gleich mehrere Momente des Albums höchst überraschend und, vergessen wir das nicht, erstaunlich mutig.

Vor allem drei Tracks, die im letzten Drittel von Lust For Life aufeinander folgen, machen das deutlich: In Coachella, Woodstock In My Mind beobachtet Lana Del Rey eine Jugend, die nach Orientierung und Bedeutung sucht, und stellt dabei gleich drei erstaunliche Fragen: Wie schneiden diese jungen Menschen ab im Vergleich zu denen vor 50 Jahren? Gehöre ich noch zu diesen Leuten? Und was kann ich für diese Generation beitragen? God Bless America – And All The Beautiful Women In It ist bei weitem nicht so stumpf und oberflächlich wie der Titel vermuten lassen könnte, sondern geht beispielsweise auch auf den Schusswaffen-Fetisch in der Heimat der Sängerin ein. „Is it the end of America?”, fragt sie schließlich sogar zu dezenten Latin-Sounds in When The World Was At War We Kept Dancing.

Das ist ein ziemlicher Wandel im Vergleich zu den Vorgänger-Alben, kommt aber auch nicht aus dem Nichts. Die Reflexion über Rollenbilder, Identitätssuche und Zeitenwandel, die sich auch schon auf Born To Die (2012), Ultraviolence (2014) und Honeymoon (2015) fand, hat Lana Del Rey diesmal lediglich in einigen Songs von der persönlichen auf die gesellschaftliche Ebene übertragen. „I made my first four albums for me, but this one is for my fans and about where I hope we are all headed”, umschreibt sie ihre Zielsetzung für Lust For Life.

Von den angekündigten neuen Zielrichtungen lassen sich derweil durchaus auch Elemente finden. Vor allem ist da ein Optimismus, den man bisher kaum von Lana Del Rey kannte. Der Titelsong mit The Weeknd als Gaststar ist ein Beispiel dafür. „We are masters of our own fate“, heißt es darin tatsächlich. Selbst wenn das nicht stimmen sollte, haben wir immer noch die Macht, den eigenen Blickwinkel auf unser Schicksal zu bestimmen, lautet die Botschaft zwischen den Zeilen, und manchmal kann man dabei entdecken: Das (Champagner-)Glas ist halbvoll, und eine Nacht ganz allein mit dem Liebsten ist ein großes kleines Glück.

In Beautiful People Beautiful Problems (gesungen als Duett mit Stevie Nicks von Fleetwood Mac) steckt zugleich die Suche nach Trost im Oberflächlichen wie die Erkenntnis: Auch Probleme und Traurigkeit kann man schön finden. Nur mit Stimme und Klavier wird Change rührend und großartig, es geht auch hier um den Entschluss, sich aufzuraffen und ein besserer Mensch zu sein.

Natürlich gibt es auch noch die alte Lana Del Rey, verloren, nostalgisch und unheilbar romantisch. Der Auftakt Love fällt in diese Kategorie, stellt ihre Stimme in den Mittelpunkt (sogar fast auf einen Thron) und klingt herrlich träge und verschlafen, als sei es aus einer anderen Epoche zu uns herübergeweht worden. Summer Bummer wird sexy, aber nicht schmierig, nicht einmal in den Gastbeiträgen von A$AP Rocky und Playboi Carti. Groupie Love singt sie nicht aus der Perspektive der Bewunderten, sondern aus der des Groupies. Der Sound schafft es beispielsweise durch die Kapriolen der Hi-Hat, das so aufregend und zugleich billig klingen zu lassen, wie es wohl ist. Tomorrow Never Came, bei dem Sean Lennon mitwirkt, wird verträumt, schwelgerisch und sehr schön – die Melodie ist an einer Stelle lustigerweise eng an einen Song eines anderen Beatles angelehnt, nämlich an George Harrisons Something.

Ganz am Ende von White Mustang hört man einen Motor aufheulen. Dass es bei diesem Titel nicht um ein Pferd geht, sondern um ein Auto, ist indes schon vorher klar. Lana Del Rey gehört nicht in die Wildnis, sondern in die Stadt. So oft sie (wie auch hier) vom Strand singt, ist dabei stets klar: Damit ist keinesfalls Cornwall oder Tofino gemeint, sondern unbedingt Malibu oder die Côte d‘Azur. Ihr Sehnsuchtsort ist keine ursprüngliche, einsame Landschaft, sondern ein Ort, der Luxus und Leichtigkeit verkörpert, vor allem aber von den richtigen Menschen bewohnt ist.

„I fall to pieces when I’m with you“, heißt es sehr typisch in Cherry. Das ist wieder dieses Leiden an der Liebe, gepaart mit der Überzeugung, dass die Liebe (vielleicht sogar: diese Liebe) das einzige Glück möglich macht. Auch die Gefühlswelt von In My Feelings ist geprägt vom Empfinden: Ich will kein Opfer der Liebe sein, aber das erkenne ich immer erst, wenn ich wieder zum Opfer geworden bin. „It hurts to love you / but I still love you“, singt sie in 13 Beaches, und man staunt, dass es diese Zeile in ihrem Oeuvre noch nicht gegeben hat, so gut fast sie das Lana-Del-Rey-Gefühl zusammen. Die Musik hingegen könnte von irgendwem sein, passte zu Roxette ebenso wie zu Beyoncé.

Überhaupt ist der Sound diesmal etwas vielfältiger geworden, es gibt deutlich weniger Orchester und etwas mehr Elektronik. Allerdings reicht auch das nicht, um Lust For Life über die gesamte Dauer von 72 Minuten spannend zu halten. Heroin beispielsweise ist etwas kraftlos, kurz darauf täuscht das schlaue Arrangement von Get Free nur halbwegs geschickt darüber hinweg, dass dieses „modern manifesto“, wie sie es an einer Stelle nennt, etwas unausgegoren ist.

Alles in allem ist die Platte aber ein Vergnügen: Lana Del Rey schafft es damit, sich zugleich weiterzuentwickeln und ihre Einzigartigkeit zu betonen.

Das Video zu Love ist wieder mal herrlich nostalgisch und romantisch geworden.

Website von Lana Del Rey.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.