Künstler | Laura Marling | |
Album | Semper Femina | |
Label | Kobalt | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Dass Laura Marling mindestens doppelt so gut und dreimal so weise klingt, als es ihrem tatsächlichen Alter (27 Jahre) entspricht, daran hat man sich beim mittlerweile sechsten Album der Engländerin ja fast schon gewöhnt. Was ihr morgen erscheinendes Semper Femina so aufsehenerregend macht, ist trotzdem die enorme Entschlossenheit und Konsistenz, die aus diesen Liedern spricht. Denn auf dem Weg zu dieser von Blake Mills in New York produzierten Platte schlug Laura Marling einige Irr- und Umwege ein.
Gleich dreimal hat sie in sehr entscheidenden Punkten ihre Meinung geändert. Zuerst war da die Idee, sich ein Tattoo stechen zu lassen, das eine Gedichtzeile von Vergil zitiert: „Varium et mutabile semper femina.“ Übersetzt: „Eine Frau ist ein stets wandelbares und launenhaftes Wesen.“ Statt dieses Wortlauts kürzte sie den Vers ab und gelangte damit auch zu einer ganz neuen Aussage. Was stehen blieb und nun tatsächlich als Tätowierung ihr Bein ziert, lautet bloß noch: „Semper Femina“. Also: „Für immer Frau.“
Dieses Credo spielte ebenfalls eine zentrale Rolle für das neue Album. Denn ursprüngliche wollte sie für die Lieder von Semper Femina auf lyrischer Ebene ihr Geschlecht verlassen. „Ich begann mit dem Schreiben von Semper Femina, als wäre ich ein Mann, der über eine Frau schreibt. Doch dann dachte ich: Das ist kein Mann. Das bin ich“, erzählt sie. „Ich muss nicht vorgeben, ein Mann zu sein, um die Intimität zu rechtfertigen, die Art und Weise wie ich Frauen betrachte oder empfinde. Es ist mein spezifischer Blick auf Frauen und ich hege großes Mitgefühl für sie, stellvertretend für mich.“
Wie das gemeint ist, zeigen Songs wie Wild Fire, das trotz des elektronisch bearbeiteten Schlagzeugs eine große Wärme und Innigkeit ausstrahlt und vom Bestehen auf der eigenen Souveränität handelt. Es geht auf Semper Femina oft um Beziehungen von Frauen, zu Männern, zu sich selbst, besonders häufig auch um ihr Miteinander mit anderen Frauen.
Don’t Pass Me By wird bedrohlich, als sei die Sängerin gerade aus einem Sumpf der Südstaaten entstiegen, und ist zudem eine großartige Komposition. Soothing ist zwar vom Bass geprägt, trotzdem wirkt es nicht in erster Linie robust, sondern sinnlich. Always This Way schafft es, auch dank der sehr kreativen Gitarrenarbeit, Gravitas mit Verspieltheit zu kombinieren. Der eindringliche und spannende Album-Schlusspunkt Nothing, Not Nearly hat ebenfalls solch eine wunderbare, waidwunde E-Gitarre.
Der dritte Sinneswandel hängt eng mit dem Bekenntnis zur weiblichen Perspektive zusammen. Die Entstehungszeit von Semper Femina nennt Laura Marling ihre „maskuline Phase“, wie sie berichtet: „Es war eine Zeit, in der ich irgendwie auf den Trip kam, mich vollkommen von Sexualität zu lösen. Wenn ich nun zurückschaue, war ich in dieser Zeit wie auf Drogen. Aber ich lebte in L.A., und L.A. besitzt dieses erstaunliche Talent, Sexualität zu verdrängen. Ich fand das ziemlich erschreckend. Ich hatte Angst, dass so wie ich es wahrnahm, meine weibliche Seele verschwindet. Aber es gab mir auch die Möglichkeit, Frauen auf eine ganz andere Art und Weise zu betrachten, und zu überlegen, wie ich betrachtet wurde.“
Dass Sex nun wieder eine Rolle in ihrem Werk spielt, zeigt am deutlichsten Wild Once, das nicht nur den klügsten Vers des Albums enthält („It’s hard if you can’t change it / it’s worse if you don’t try“), sondern auch die zentrale Zeile “I was wild once / and I can’t forget”. Dass da etwas Animalisch, Unbesiegbares in jedem von uns ist, das man nicht leugnen oder verdrängen muss, sondern begrüßen und genießen kann, hört man dem Song und dem gesamten Album an. “In der maskulinen Phase meines Lebens begeisterte ich mich für Wandern und Klettern, kraxelte Bäume hinauf oder was auch immer. Ich hatte diesen Teil meiner Persönlichkeit schon so lange nicht mehr in Anspruch genommen – und es fühlte sich fantastisch an. Es berührte etwas in mir, das ganz krass, aber zugleich unschuldig war.“
Diese kraftvolle Unschuld steckt in Nouel, in dem man – nicht nur, weil hier nur Gesang und eine Akustikgitarre erklingen – an Joan Baez denken muss. Ebenso in Next Time mit klassischem Picking, virtuosen Streichern und einem Gesang, der wie ein Manifest klingt. Sehr ähnlich, aber noch ein Stückchen besser wird The Valley: Der Song ist akustisch, zerbrechlich, somnambul und wird von tollen Streicher geadelt. Das reicht tatsächlich an Nick Drake heran, und zwar in allen wichtigen Kategorien: Schönheit, Echtheit, Intensität.